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Sonntag, 15. September 2019

Wenn Bücher reden könnten ... / Cordula Reuß. In: Blog der UB Leipzig 02.09.2019

… dann würden sie uns viel erzählen können, darüber, wer sie erworben und gelesen hat, welche Wege sie gegangen, welche Abenteuer sie und ihre Vorbesitzer erlebt haben bis sie in die Universitätsbibliothek kamen.
Haben sie:
ein Exlibris (Bucheignerzeichen),
einen Stempel,
handschriftliche Eintragungen
oder andere individuelle Merkmale, so können wir mit Hilfe der Provenienzforschung manchmal ihre Geschichten erzählen.
Der Begriff „Provenienzforschung“ leitet sich von dem lateinischen Wort „provenire“ ab und untersucht die „Biografie“ kultureller Artefakte. Erforscht werden also die Herkunft und der historische Kontext von Kulturgütern wie Kunstwerken, Büchern, Gebrauchsgegenständen, Archivalien usw.
Es gibt viele Gründe, Provenienzforschung in Bibliotheken zu betreiben. Ein Grund dafür ist die Suche nach unrechtmäßigen Beständen in ihren Einrichtungen.
Am 3. Februar 1998 hat Deutschland, wie 44 weitere Staaten die „Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurde“ unterzeichnet. Darin kommen die Unterzeichnerstaaten rechtlich nicht bindend überein, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke als Raubkunst zu identifizieren, Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden und diese zurückzugeben.
In der Universitätsbibliothek lief dafür von 2008 bis 2012 ein drittmittelgefördertes Projekt durch den Bundesbeauftragten für Kultur der Bundesregierung. Über 5.000 Bücher wurden ermittelt, die in der Zeit des Nationalsozialismus durch die Gestapo beschlagnahmt, geraubt oder durch ihre verfolgten Eigentümer zwangsverkauft werden mussten.

Nach umfangreichen Provenienzrecherchen und einer schwierigen Erbensuche versuchen wir, wo möglich, diese Bücher an ihre Eigentümer, bzw. deren Nachkommen zurück zu geben. Dabei kooperieren wir mit anderen Bibliotheken und Einrichtungen insbesondere in Deutschland und Österreich, die sich ebenfalls mit Raubgutforschung beschäftigen.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist folgender Titel

Capek, Karel: Letters from Spain. London 1931.
Bei diesem Buch hat unsere Provenienzforschung ergeben, dass es sich um ein unrechtmäßig im Nationalsozialismus entzogenes Buch handelt.
Warum: Im Buchdeckel befindet sich folgendes Exlibris des in Łódź geborenen Graphikers Joseph Hecht (1891–1951).
Artur Rubinstein (* 28. Januar 1887 in Łódź; † 20. Dezember 1982 in Genf) war ein polnischer Pianist. Er gilt bis heute als einer der größten Chopin-Interpreten.
Er besaß in seinem Haus am Square de l’Avenue Foch in Paris eine ca. 4.000 Bände sowie zahlreiche Musikhandschriften umfassende Privatbibliothek. Im September 1939, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris, übersiedelte er mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten von Amerika. 1940 konfiszierte der „Sonderstab Musik“ des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg (ERR) den Pariser Besitz seine Privatbibliothek in die Zentralbibliothek des Reichssicherheitshauptamtes nach Berlin.
Nach Kriegsende wurden Teile der konfiszierten Bestände im Reichssicherheitshauptamt von der Roten Armee in die UdSSR abtransportiert. Im Zuge der Rückführung eines Teils der deutschen Kulturgüter durch die Sowjetunion 1958/1959 an die DDR gelangten einige Musikhandschriften aus der Bibliothek Artur Rubinsteins wieder nach Berlin. Sie wurden der Musikabteilung der Deutschen Staatsbibliothek zugewiesen. Erst 2003 gelang die Zuordnung der Bestände zur Sammlung von Artur Rubinstein, woraufhin die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sich mit den Erben Rubinsteins in Verbindung setzte und 2006 eine 71 Positionen umfassende Sammlung von Musikalien an diese restituierte.
Die Bücher aus Rubinsteins Bibliothek blieben zumindest teilweise in Berlin und gelangten von dort in die Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek und in die Berliner Stadtbibliothek. Die Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände an der Staatsbibliothek Berlin verteilte in der DDR auch Exemplare aus der Bibliothek Rubinsteins weiter.
Unser Exemplar wurde laut Zugangsbuch 1960 über die Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände Berlin erworben. Gemeinsam mit der Staatsbibliothek zu Berlin, die ebenfalls noch drei Bücher aus dem Besitz von Artur Rubinstein im Bestand besitzt/aufbewahrt, wird die Universitätsbibliothek Leipzig nun dieses Exemplar an die in New York lebenden Kinder von Artur Rubinstein restituieren.

via https://blog.ub.uni-leipzig.de/wenn-buecher-reden-koennten/

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