Es sind die ganz großen philosophischen Fragen, die drei
Theologie-Studenten des Tübinger Stifts – Hegel aus Stuttgart, Hölderlin
aus Lauffen und Schelling aus Leonberg – kurz nach Ausbruch der
Französischen Revolution elektrisieren: die Fragen nach Wahrheit,
Schönheit, Glück, Freiheit und Glaube. Die drei Freunde, die in Tübingen
zeitweise ein Zimmer teilen, entwerfen ein Programm des Idealismus, das
auch als ein Systemprogramm der Literatur gelten kann. Voraussetzung
für das Denken wie das Dichten ist das freie Spiel der Phantasie in der
Sprache. Die Ausstellung ›Hegel und seine Freunde‹ lädt in 13
Versuchsanordnungen mit Texten, Archivfundstücken und kleinen
Inszenierungen zu Gedankenspielen und philosophischen Experimenten ein.
Sie öffnet damit Wege und Räume des eigenen philosophischen Denkens. An
den WG-Tischen der Ausstellung nehmen dabei Autoren und Philosophen von
Friedrich Theodor Vischer über Franz Kafka bis hin zu Vertretern der
Neuen Frankfurter Schule Platz.
Zur Eröffnung am 6. Oktober, 11 Uhr, spricht die Philosophin und
Feministin Judith Butler, die sich bereits während ihres Studiums
intensiv mit Hegel und dem deutschen Idealismus befasst hat. Sandra
Richter führt in die Ausstellung ein. Die Ausstellung haben Heike
Gfrereis und Sandra Richter kuratiert (wiss. Mitarbeit: Richard Schumm),
für die Gestaltung zeichnen Andreas Jung und Diethard Keppler
verantwortlich.
Obwohl in Marbach nur ein kleiner primärer Hegel-Bestand liegt (der
Nachlass Hegels befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin) – u.a.
Briefe von und ein Brief an Hegel, ein Fragment aus dem
Vorlesungsmanuskript zur Philosophie der Geschichte, ein Aufsatz über
Schillers Wallenstein sowie ein Bericht Hegels aus seiner Zeit als
Gymnasial-Rektor samt Auszug aus seinen Unterrichtsmanuskripten
(»Nürnberger Propädeutik«) – , lässt sich im Deutschen Literaturarchiv
eine Fülle von Archivalien von Hegel-Lesern und -Interpreten aus mehr
als zwei Jahrhunderten finden. Hinzu kommen mehr oder weniger versteckte
Anspielungen in literarischen Texten: Hegel-Parodien wie die von Thomas
Carlyle (›Sartor Resartus‹, 1831), Friedrich Theodor Vischer (›Auch
einer, 1879‹) und Rainald Goetz (›Katarakt‹, 1993), Hegel-zitierende
Figuren wie Gustav in Thomas Hettches Roman ›Die Pfaueninsel‹ 2014 und
Dr. Wolters in Wilhelm Genazinos ›Die Kassiererinnen‹ (1998). Solche
Archiv- und Literatur-Funde stehen in vielfältigen individuellen,
ideengeschichtlichen und realhistorischen Zusammenhängen. Sie lassen
sich kaum einer einzigen chronologischen Entwicklungslinie zuordnen,
sind eher Knoten in einem Netzwerk und werden in einem der beiden
Ausstellungshefte umfangreich kommentiert.
Zu Hegels Freunden an den Tischen der Ausstellungs-WG gehören u.a.
Friedrich Schiller und Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Hölderlin und
Friedrich Wilhelm Schelling, David Friedrich Strauß, Eduard Mörike,
Heinrich Heine, Georg Simmel und Margarete Susman, Franz Kafka, Hermann
Hesse, Theodor W. Adorno, Hannah Arendt, Max Bense, Roman Jakobson und
Alfred Andersch, Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid und Friedrich
Kittler sowie Hans Ulrich Gumbrecht; Claus Zittel, Veronika Reichl,
Ulrich Schlösser und Studierende der Philosophie der Universität
Tübingen.
Die Ausstellungseröffnung findet am 6. Oktober um 11 Uhr im Humboldt-Saal (Archivgebäude) statt.
Begleitpublikation: Was das Archiv von Hegel weiß. Mit Kommentaren von
Ulrich von Bülow, Heike Gfrereis, Hans Ulrich Gumbrecht, Georg Hartmann,
Francesca Iannelli, Daniel Knaus, Marie Lippert, Nadine Mooren, Sandra
Richter, Richard Schumm, Claus Zittel und Robert Zwarg. 48 Seiten.
Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft, 2019. ISBN
978-3-944469-49-2
›Hegel und seine Freunde‹ wird von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert.
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Humboldt-Saal (Archivgebäude)
Schillerhohe 8-10
71672 Marbach am Neckar
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