Mittwoch, 26. April 1944, abends um halb zehn auf Kreta, nicht weit von Heraklion. Die Sonne ist schon vor reichlich einer Stunde untergegangen. Die Straße nach Knossos liegt im Dunkeln, das Spezialkommando wartet in einer Kurve.
Patrick Leigh Fermor und sein Stellvertreter Stanley Moss sind erst, als es dämmerte, in die mitgebrachten Wehrmachtsuniformen geschlüpft. Leigh Fermor, von seinen Freunden Paddy genannt, spricht Deutsch. Auf dem gefährlichen Fußmarsch hierher hat er, wenn Hunde anschlugen, lauthals das Horst-Wessel-Lied angestimmt.
Kreta ist seit Mai 1941 von der Wehrmacht besetzt. Paddy ist im Februar mit dem Fallschirm über der Insel abgesprungen. Sieben Wochen lang hat er sich in einer Höhle versteckt.
„Hände hoch!“
Ein durchaus ungewöhnlicher Text für jemand, der sich sein Deutsch mit Schlegel und Tiecks Shakespeare-Übersetzung beigebracht hat, während er 1933 auf seinem Fußmarsch von Holland bis nach Konstantinopel durch Deutschland gekommen ist. Aber Paddy ist ein Sprachengenie, auch wenn seine Lehrer früher nur „eine gefährliche Mischung aus Raffinesse und Rücksichtslosigkeit“ in ihm sahen und ihn von der Schule warfen.
Dass Patrick Leigh Fermor einmal einer der einflussreichsten Reiseschriftsteller seines Jahrhunderts werden würde, haben sie nicht geahnt, aber das ahnt da nicht mal Leigh Fermor selber. Für die nächsten Minuten hat er einen Plan, für sein Leben hat er keinen. Oberhalb der Kurve scheinen die Lichter des Generalswagens auf.
„Wir bringen Sie nach Ägypten“
Dass Kreipes Chauffeur seine Luger zieht und von Moss mit dem Schlagstock niedergeschlagen wird, sieht er vermutlich nur aus dem Augenwinkel, bevor er den General auf die Rückbank verfrachtet und sich mit Kreipes Mütze auf dem Kopf selber auf den Beifahrersitz hockt und, „Generalswagen!“ rufend, nicht weniger als 22 Kontrollposten passiert.
Den Opel lassen sie bald darauf auf offener Straße zurück; der prominent im Wagen platzierte Brief, der die Wehrmacht auf Kreta über die Entführung ihres Befehlshabers informiert, endet mit den Worten: „Auf baldiges Wiedersehen!“ Wenig später wirft ein kleines Flugzeug ein Flugblatt ähnlichen Inhalts ab.
„Ach so, Herr Major“
Da aber sind Paddy, Moss und der General Kreipe schon in den schwer zugänglichen Bergen. Ihre Flucht wird bis weit in den Mai dauern und jeden von ihnen an den Rand der Erschöpfung bringen, aber Paddy macht seine Ankündigung vom Abend des 26. wahr: „Herr General, ich bin ein britischer Major. Wir bringen Sie nach Ägypten.“Im Schneeregen, so erinnert er sich in „Die Zeit der Gaben“, habe Kreipe angefangen, Horaz zu zitieren, und er habe den Vers aufgenommen. „Ach so, Herr Major“, sagt Kreipe darauf. „Ja, Herr General“, sagt Paddy, und dabei ist ihm, „als hätte für einen kurzen Augenblick der Krieg aufgehört“.
via https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article200977552/Kreta-1944-Als-Patrick-Leigh-Fermor-einen-Nazi-General-entfuehrte.html
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