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Dienstag, 17. September 2019

An den Zeugen Jehovas verzweifelten die Nazis / Solveig Grothe. SPIEGEL online 16.09.2019

Vermutlich war es gut gemeint, vielleicht gedankenlos naiv, auf jeden Fall folgenschwer: Anfang September 1939 traf an August Dickmanns Heimatadresse in Dinslaken sein Wehrpass ein. Seine Frau sandte das amtliche Dokument an seinen aktuellen Aufenthaltsort nach. Ins Konzentrationslager Sachsenhausen.
Am Freitag, 15. September, hatten im KZ nördlich von Berlin die Häftlinge früher als sonst Feierabend. Als sie nach der Zwangsarbeit im Lager eintrafen, stand auf dem Appellplatz eine aus dicken Bohlen gezimmerte Doppelwand mit Sandsäcken im Zwischenraum, davor eine große schwarze Kiste.
Der Lagerälteste Harry Naujoks, Kommunist aus Hamburg, berichtete später von einer Inszenierung wie ein "großes Schauspiel". Die rund 8000 Häftlinge nahmen Aufstellung, Hunderte mit einem violetten Dreieck an ihrer Kleidung wurden nach vorn in die erste Reihe gerufen. Um sie herum bauten sich SS-Wachmannschaften auf.
Dann wurde aus dem Zellenbau ein an den Händen gefesselter Mann vor die Holzwand geführt: August Dickmann. Aus den Lautsprechern drang die Stimme des Lagerkommandanten Hermann Baranowski. Er verlas die Exekutionsanordnung, woraufhin Schützen auf Kommando Feuer gaben und der 29-jährige Arbeiter aus Dinslaken zusammenbrach. Auf ein Zeichen Baranowskis sprang dessen Adjutant Rudolf Höß, später Auschwitz-Kommandant, herbei und schoss dem am Boden Liegenden in den Kopf. Vier aus der ersten Reihe, einer davon Augusts Bruder Heinrich Dickmann, bekamen den Befehl, ihn in den Sarg zu legen und fortzuschaffen.
Presse und Rundfunk des Deutschen Reichs berichteten am folgenden Tag, zwei Wochen nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, von der ersten öffentlichen Exekution eines Mannes, der sich geweigert habe, "seine Pflicht als Soldat zu erfüllen". Dickmann wurde als "fanatischer Anhänger der internationalen Sekte der Ernsten Bibelforscher" bezeichnet.
Die Schau-Hinrichtung war als Abschreckung gedacht. Dass sie diese Wirkung komplett verfehlte, sollte Baranowski bereits am selben Abend begreifen. Andere NS-Institutionen arbeiteten sich noch über Jahre an einer - wie Max Bastian, Präsident des Reichskriegsgerichts, sie nannte - "eigenartigen Kategorie Menschen" ab. Exekutiert wurde in diesen Fällen nicht mehr öffentlich.
Das Phänomen Kriegsdienstverweigerung hatte die Nazi-Justiz überrascht. Das deutsche Militärstrafgesetzbuch von 1872 kannte nicht einmal den Begriff. Es gab Strafmaßnahmen gegen Deserteure, Simulanten oder Selbstverstümmler, gegen Männer also, die sich auf verschiedene Weise dem Wehrdienst entziehen wollten. Völlig neu war hingegen, dass sich jemand offen dazu bekannte und erst gar keinen Versuch unternahm, einer Strafe zu entgehen. Wie die Zeugen Jehovas.
In Deutschland waren sie unter dem Namen "Ernste Bibelforscher" bekannt und dafür, dass sie jeglichen Wehrdienst ablehnten. In Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg hatte die Militärjustiz diese Haltung vorsorglich zum Delikt der "Wehrkraftzersetzung" erklärt, worauf die Todesstrafe stand.
August Dickmann betraf das eigentlich nicht, zu Kriegsbeginn saß er bereits in Haft. Hunderte Zeugen Jehovas waren ab 1936 in Konzentrationslager verschleppt worden, weil sie - wie Dickmann - trotz Verbot ihre Missionierungen fortgesetzt hatten. Sie taten es auch in den Lagern und wurden daher gekennzeichnet und separiert durch das Dreieck an ihrer Kleidung, den sogenannten Lila Winkel. Arbeit in Strafkolonien und Misshandlungen sollten sie unter Druck setzen, eine "Verpflichtungserklärung" zu unterschreiben, die ihnen die Entlassung in Aussicht stellte, sofern sie sich von ihrem Glauben lossagten. ... [mehr] https://www.spiegel.de/geschichte/kriegsdienstverweigerer-hinrichtung-von-august-dickmann-zeuge-jehovas-a-1286598.html


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