Berlin, 1912: Sie liebt Gender-Rollenspiele. Er nennt sich „Tiger“. Die
poetische Liaison zwischen Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn
gehört zu den wildesten Beziehungen der Literaturgeschichte.
Sie ist 43, er 26. Das Unerhörte ihrer Liebe: Sie gibt zu reden und zu lesen. Kaum sind die beiden zusammen, bedichten sie sich auch gegenseitig – und zwar öffentlich. Ihre Beziehungs-Lyrik erscheint in expressionistischen Zeitschriften wie „Die Aktion“ und „Schaubühne“, über Monate, live zum Mitlesen: Sie gibt ihm einen nickname aus dem „Nibelungenlied“: „Der hehre König Giselheer / Stieß mit seinem Lanzenspeer / Mitten in mein Herz“. – „Ich treibe Tierliebe“, dichtet Benn: „In der ersten Nacht ist alles entschieden. Man fasst mit den Zähnen, wonach man sich sehnt. Hyänen, Tiger, Geier sind mein Wappen.“
„Du, dass wir nicht an einem Ufer landen! / Du machst mir Liebe: blutigelhaft: Ich will von dir.“
Die Blutegel-Metapher passt zu Benn, der als frisch promovierter Militärarzt gerade die dunkle Gedichtsammlung „Morgue“ (benannt nach dem Pariser Leichenschauhaus) veröffentlicht hat. Das krasse Gedicht „Kleine Aster“ ist Teil der Sammlung, die Else Lasker-Schüler als Lyrikern liebte.
War sie von Benn schwanger?
Später trennen sich Giselheers und Jussufs Wege. Benn dient sich, zumindest anfangs, den Nazis an, Lasker-Schüler emigriert 1933 nach Zürich und 1934 nach Jerusalem, wo sie im Januar 1945 stirbt. 1952, genau 40 Jahre nach ihrer Affäre, erinnert der Meister der melancholischen Gedichte öffentlich an seine poetische Lehrmeisterin, nennt sie „die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“.
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