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Donnerstag, 4. Juli 2019

Iraner wollen auch "Lolita" und "Ulysses" lesen: So entgehen Übersetzer der Zensur

Iranische Zensoren schauen nicht nur auf den Inhalt eines Buches: Jedes einzelne Wort kann unter die Lupe genommen und gegebenenfalls getilgt werden. Einheitliche Massstäbe gibt es dabei nicht – das Prozedere variiert oft von einem Buch, Autor oder Verlag zum nächsten. In manchen Fällen reicht es, einige Passagen, Sätze oder Formulierungen zu ändern, damit das Buch die Zensur passiert; Werke dagegen, die politisch brisant sind oder in denen Sex eine wichtige Rolle spielt, können gleich rundweg verboten werden.
Wer sich der Zensur nicht beugt, muss mit Verfolgung, Sanktionen, sogar mit dem Tod rechnen. Ein aktuelles Beispiel ist die Schriftstellerin Golrokh Ebrahimi Iraee, die im September 2014 wegen einer – unpublizierten – Kurzgeschichte ins Gefängnis geworfen wurde, in der sie die Praxis der Steinigung von Ehebrecherinnen gegeisselt hatte. Sie wurde im vergangenen April auf Bewährung freigelassen, steht aber nach wie vor unter Anklage.
Es kam auch vor, dass unbequeme Autoren aus dem Weg geschafft wurden, wobei die Behörden die Untat dann als Suizid oder ungeklärtes Tötungsdelikt darstellten. Ende 1998 kamen so binnen einer Woche gleich zwei Literaturschaffende ums Leben: Am 3. Dezember wurde der Dichter, Schriftsteller und Aktivist Mohammad Mokhtari ermordet, sechs Tage später verschwand Mohammad-Jafar Pouyandeh, ein ebenfalls gesellschaftlich engagierter Übersetzer und Autor. Sein Leichnam wurde drei Tage später in einer südlich von Teheran gelegenen Stadt aufgefunden.
Insbesondere die Literatur steht im Visier der iranischen Zensurbehörde; wissenschaftliche, philosophische und theoretische Texte sind ungleich weniger exponiert. Denn Literatur stimuliert mehr als andere Textgattungen die Vorstellungskraft und das freie Denken – und genau das will das Regime verhindern.
Tatsächlich haben die Machthaber mithilfe der Zensur die iranische Literatur mit ihrem eigenen Narrativ überschrieben. Das entstellt nicht nur das Bild der persischsprachigen Literatur, sondern auch dasjenige der realen Lebensumstände und Erfahrungen der Iraner. Auch sie leben heute in einer Gesellschaft, in der es vorehelichen Sex gibt, in der man – wenn auch heimlich – mit gleichgeschlechtlichen oder transsexuellen Partnern zusammenlebt, wo Alkohol konsumiert, Kunst im Untergrund gezeigt und gehandelt wird und die Menschen politisch aktiv sind. Ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung praktiziert die aufgezwungene Religion nicht. Aber von alledem ist in iranischen Romanen nichts zu lesen. ... [mehr] https://www.nzz.ch/feuilleton/wie-man-iranische-zensoren-an-der-nase-herumfuehrt-ld.1486736

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