Wer jemals „Peterchens Mondfahrt“ gelesen
hat, wird wohl kaum von einer Reise zum Trabanten träumen, der so
entsetzlich unwirtlich ist. Und auch dem Mann im Mond muss man nicht
unbedingt begegnen, glaubt man dem Autor Gerdt von Bassewitz, der sein
berühmtes Kinderbuch 1912 als Theaterstück und vier Jahre später als
Roman veröffentlichte. Dass der Mann im Mond kein freundlicher
Zeitgenosse ist, schreiben Autoren schon vor Bassewitz - in Ludwig
Bechsteins Märchen wird ein sonntäglicher Reisigdieb vom lieben Gott zur
Strafe auf den Mond verbannt, und in den Märchen der Inuit, die der
Forscher Knud Rasmussen aufgezeichnet hat, wacht der Mann im Mond über
die Sitten der Menschen. Verhalten sie sich schlecht, steigt er auf die
Erde hinunter und schlägt alles zu Brei.
Für Bassewitz
ist nicht nur der Mondbewohner gruselig, der Trabant ist es auch. So
begeistert, wie er den Mond als lebensfeindlichen Ort schildert, hat das
vor ihm noch keiner getan. Allerdings stand der Mond auch ohne den
verfressenen Hünen in Mythen und Sagen mitunter nicht besonders gut da.
Natürlich gibt es da die romantische Seite:
die „mondbeglänzte Zaubernacht“, die Ludwig Tieck besungen hat,
Eichendorffs „Mondnacht“ mit den schönen Zeilen „Es war als hätt der
Himmel / Die Erde still geküßt / Daß sie im Blütenschimmer / Von ihm nur
träumen müßt“, und all die Anrufungen des Monds, er möge sich doch als
Kuppler erweisen und die Liebenden zusammenführen. Aber auf den Mond ist
eben kein Verlass, er wechselt seine Gestalt schneller, als man zusehen
kann, und wo ein beseelter Goethe das Gestirn mit den Worten „Füllest
wieder Busch und Tal / Still mit Nebelglanz“ anruft, da antwortet Franz
Grillparzer mit dem Gedicht „Der Halbmond glänzet am Himmel“ und klagt
darüber, dass alles in seinem Leben nur „halb“ sei, seine Moral, seine
Kunst, seine Fähigkeit zum Genuss. Jetzt stehe er in der Mitte des
Lebens, aber bald sei es mit der Halbheit vorbei: „Die leere Hälfte der
Seele / Verdrängt die noch volle gemach.“
Immerhin gab es
da mal eine gute Seite, möchte man Grillparzer trösten, und wenigstens
der Mond wird in absehbarer Zeit wieder voll und schön sein. Ganz
ungetrübt wird die Freude daran aber nicht ausfallen, schließlich löst
der Vollmond in den Werwölfen einen Verwandlungsschub aus, der sie
unberechenbar und gefährlich macht. Im „Handwörterbuch des deutschen
Aberglaubens“ füllt der Eintrag „Mond“ fast 60 Spalten, zum größten Teil
sind es Warnungen: Fällt das Mondlicht aufs Ehebett, ist die Gefahr
groß, ein „Mondkalb“ zu zeugen, und der Schein des Gestirns mache die
Menschen ungeschickt und träge.
„Wer beim Mondschein näht, näht sein
Sterbekleid“, heißt es dort, auch das Spinnen, Waschen und Trocknen beim
Licht des Trabanten ist keine gute Idee, weil das den Tod der eigenen
Kinder zur Folge haben könnte - oder es geht einem wie jener Spinnerin
aus dem Schwäbischen, die mit ihrer Arbeit noch nicht fertig war, im
Mondschein weiterspann und der schließlich ein unheimlicher Fremder eine
Menge Spindeln gereicht habe, die sie alle vollspinnen sollte; von dem
Schreck lag sie wochenlang krank im Bett. Der Mondschein lockt die
Geister aus den Gräbern, und fällt er auf Speisen, dann werden sie
unbekömmlich, geradezu giftig.
Vielleicht
haben all diese Geschichten, die guten wie die bösen, denselben Kern:
Wenn der Mond scheint, bleibt nichts, wie es war. Sind wir glücklich,
dann macht er uns euphorisch, sind wir ängstlich, dann versetzt er uns
in Furcht oder nackte Panik. Jedenfalls treten wir aus uns heraus. Und
sehen uns selbst dann mit einer Klarheit, die man erst mal aushalten
muss.
via https://www.faz.net/aktuell/stil/leib-seele/der-mond-in-der-literatur-bad-moon-rising-16286863.html
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