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Freitag, 2. August 2019

Die Mär vom Wal, der ein Berg war / Hans Zippert. In: WELT 01.08.2019

Zum 200. Geburtstag vom Herman Melville soll am 1. August, im Garten seines Hauses in Pittsfield, ein lebensgroßer, aufblasbarer Wal in Stellung gebracht werden, in dem sich bis zu dreißig Personen aufhalten können. Eine wunderbare Interpretationshilfe, denn man wird „Moby Dick“ sicher besser verstehen, wenn man sich mal eine Zeitlang im Inneren seines Helden aufgehalten hat.

Blick auf Mount Greylock

Dieses Hilfsmittel steht mir noch nicht zur Verfügung, als ich an einem kalten Apriltag vor dem Haus in der Holmes Road Nr. 780 stehe. Statt eines aufgeblasenen Wals steht Peter Bergman vor mir, der mich durch die Wohn- und Arbeitsräume des Dichters führen will. Ich bin an diesem Dienstag der einzige Gast, das Museum ist offiziell erst ab Mai geöffnet.
Mr. Bergman, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, sagt, er müsse mir eigentlich den Gruppentarif von 50 Dollar berechnen aber, da wir ja praktisch Kollegen seien, ich hatte mich als Journalist ausgegeben, wären 40 auch in Ordnung. Ich akzeptiere ohne zu zögern sein großzügiges Rabattangebot und er beginnt seine Ausführungen mit einer für mich überraschenden Enthüllung.
Melville schrieb sein Hauptwerk oder zumindest den größten Teil davon, im Arbeitszimmer des Anwesens, das er auf den Namen „Arrowhead“ taufte, nachdem er beim Pflügen einige Pfeilspitzen aus Feuerstein gefunden hatte. Wenn er von seinem Schreibtisch aus dem Fenster schaute, sah er den Mount Greylock, mit 1063 Metern die höchste Erhebung der Berkshires, ja, von ganz Massachusetts.
Wenn Schnee im Winter den Berg bedeckte, dann nahm er die Gestalt eines großen weißen Pottwals an. So kam Melville die Idee, einen Roman über die Jagd auf einen großen weißen Pottwal zu schreiben. Sagt Mr. Bergmann.
Ich äußere schüchtern meine Verblüffung, denn von allen Autoren, die jemals gelebt haben, war Melville wohl der einzige, der auf jegliche Inspiration durch schneebedeckte Berge verzichten konnte. Er fuhr als junger Mann mehrere Jahre zur See, wenn er sich mit etwas auskannte, dann mit der Waljagd.
„Taipee“, sein erster Roman beginnt mit den Worten“: „Sechs Monate auf See! Ja, Leser, so wahr ich lebe, sechs Monate kein Land gesichtet; auf der Jagd nach dem Pottwal unter der sengenden Sonne des Äquators, auf den Wogen des weithin rollenden Stillen Ozeans umhergeworfen – den Himmel über uns, die See um uns, und weiter nichts!“

Vier Jahre in der Südsee

Doch Bergman winkt ab und berichtet, wie er sich jahrelang auf die Lauer gelegt und auf die passende Gelegenheit gewartet hatte, um das Beweisfoto zu schießen, denn dafür musste die Sicht klar und der Bergrücken in einer bestimmten Art und Weise beschneit sein. Jetzt ziert sein Schnappschuss den laminierten Flyer des Melville House „where a mountain inspired the tale of a whale“.
Noch kurz zuvor hatte mir Bergman ausführlich erklärt, wie Melvilles literarische Laufbahn begann, nachdem er sich durch ein kurzes Verhör überzeugt hatte, dass er von mir nicht unbedingt mit ernstzunehmenden Nachfragen zu rechnen hatte. ... [mehr] https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article197775449/Moby-Dick-Autor-Melville-Die-Maer-vom-Wal-der-ein-Berg-war.html

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