Die Vergleichbarkeit des Pragers Kafka mit dem Salzburger Trakl, etwa wenn es um ihre durchaus problematischen Verhältnisse in der Familie oder zu Frauen geht, bleibt im Rahmen der Spekulation. Selbst dass sie beim selben Verlag angeheuert haben, bei dem renommierten Kurt Wolff in Leipzig, stiftet keine wirkliche Begegnung: Kafka brachte das Fragment „Der Heizer“, Trakl seine schmale Auswahl der „Gedichte“ in der prominenten Reihe „Der jüngste Tag“ heraus, nur wenige Monate voneinander getrennt.
Aber eine imaginäre Begegnung der beiden
muss wohl im Bereich der Abbildungen erfolgt sein. Aus Briefen Kafkas an
Max Brod wissen wir, dass er gelegentlich Hefte der Halbmonatsschrift
„Der Brenner“ gelesen hat – in der zweiten Julinummer des Jahres 1913
fand er dort einen kritischen Text von Ulrike Brendel (das ist Leopold
Liegler) über Max Brod: „Eine technische Kritik mit psychologischen
Ausblicken“. Zu den vielfach im „Brenner“ vertretenen Autoren des
Kreises um Ludwig von Ficker, den Herausgeber der Zeitschrift, gehörte
Trakl. Dasselbe Heft, in dem Brendels Text erschien, brachte die
Erstpublikation seines Gedichts „Kindheit“, von dem wir natürlich nicht
wissen, ob Kafka es dort zur Kenntnis nahm. Aber auf der
gegenüberliegenden Seite muss er geradezu an einer Zeichnung
hängengeblieben sein: Sie zeigt einen sitzenden Mann, der vor sich
herunter auf den Tisch blickt und dabei in offensichtlicher Verzweiflung
eine Hand über den Kopf schlägt, während die andere auf dem Tisch
aufliegt.
Es ist eine
Zeichnung des „Brenner“-Karikaturisten Max von Esterle, als „Widmung für
Georg Trakl“ charakterisiert. Der mag von Trakls früher im „Brenner“
abgedrucktem Gedicht „In ein altes Stammbuch“ inspiriert worden sein,
wie Otto Basil vermutet hat: „Schaudernd unter herbstlichen Sternen /
Neigt sich jährlich tiefer das Haupt.“ Trakl richtete Ficker jedenfalls
aus: „Die Zeichnung, die Herr Esterle mir gewidmet, hat mir eine sehr
tiefe Freude bereitet.“ Esterle schrieb zurück: „Sollte sie Ihnen Freude
machen, so wäre mein Wunsch erfüllt, Ihre Einsamkeit für einige Monate
mit Zuversicht und Trost zu bevölkern.“
Dass auch Kafka sich von Esterles Zeichnung angesprochen gefühlt haben
dürfte, geht aus anderen Dokumenten hervor. Zum einen hat ihn die
Technik von Zeichnungen und besonders deren Nähe zum Holzschnitt
durchaus interessiert – einen seiner weniger bekannten publizierten
Texte widmete er etliche Jahre später einer Ausstellung von
„Tatra-Bildern von Anton Holub“: Dieser Zeichner war, so berichtet es
Max Brod in seiner Ausgabe der Kafka-Briefe, als Berufsoffizier der
tschechisch-slowakischen Armee eine „Lokalgröße der Zipser Gegend“, und
seine offenbar „dilettantischen Landschaftsbilder“ dürften kaum den
Texten Kafkas entsprechen; er sympathisierte mehr mit Holubs Aquarellen
„aus abendlichen Stimmungen mit ihrem düsteren Ernst“. „Vor allem aber“,
schreibt Kafka weiter, „gefallen die Federzeichnungen. Mit ihrem zarten
Strich, ihrem perspektivischen Reiz, ihrer wohlbedachten bald
holzschnittmäßigen, bald mehr der Radierung angenäherten Komposition
sind es erstaunlich achtungswerte Leistungen.“
Die Tatsache, dass er diesen Text überhaupt verfasst hatte, beschäftigte
Kafka noch einmal, wenn er in einem späteren Brief daran erinnert, dass
er „einmal Kunstkritiker der Karpathenpost war“, obwohl er „überhaupt,
wie ja viele Menschen wahrscheinlich, keinen primären Blick für die
bildende Kunst“ habe. Deshalb sind auch die Gelegenheiten sehr rar,
Kafka wie hier in Verbindung mit zeitgenössischer Kunst zu bringen.
Die von Esterle festgehaltene Geste einer
sich statt nach außen gegen sich selbst richtenden Abneigung hat Kafka
überdies, und das ist erstaunlich, selbst in einer Zeichnung
beschäftigt: Max Brod veröffentlichte im Anhang zu seiner 1937
erschienenen Biographie des Freundes eine Reihe von Zeichnungen Kafkas,
deren Originale nicht zugänglich waren, sich aber nach der Vermutung von
Friederike Fellner im Nachlass Brods befinden könnten, der unlängst in
Jerusalem der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Darunter sind auch sechs
Figuren in unterschiedlichen Haltungen, deren eine im Seitenprofil
gezeigt wird: Sie sitzt nicht an einem Tisch, aber mit auf die Brust
abgewinkeltem Kopf auf dem Boden, die rechte Hand liegt auf dem spitz
angewinkelten Bein, die linke flach auf dem ausgestreckten anderen Bein.
Aber vor allem
entspricht das Motiv aus Esterles „Widmung für Trakl“ einer
Aufzeichnung, die Kafka in seiner Zürauer Zeit festgehalten und später
für die geplante Aphorismensammlung abgeschrieben hat: „Den ekel- und
hasserfüllten Kopf auf die Brust senken“, so lautet die von Kafka
durchgezählte Nummer 42 des Konvolutes.
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