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Donnerstag, 29. August 2019

Kafka und Trakl: Eine Verwandtschaft über Bilder / Mathias Mayer. FAZ 28.08.2019

Sie sind sich nie begegnet, und es gibt auf keiner Seite ein Zeugnis, das auch nur die leiseste Wahrnehmung des anderen vermuten lassen könnte. Die Rede ist von den beiden dunkelsten, melancholischsten Schriftstellern der neueren deutschsprachigen Literatur: Franz Kafka und Georg Trakl. Im Tagebuch und den Aufzeichnungen des Älteren, der so gut wie keine Lyrik geschrieben hat, finden sich immer wieder Phantasien der Selbstzerstörung – so etwa ein Notat, das er später selbst zitiert: „Mein Leben habe ich damit verbracht mich gegen die Lust zu wehren es zu beenden.“ Der andere, vier Jahre jünger, der fast ausschließlich Gedichte verfasst hat, schrieb in einem Brief vom November 1913: „Es ist ein so namenloses Unglück, wenn einem die Welt entzweibricht“, und ein Jahr später hat er in der Verzweiflung eines Kriegseinsatzes – er war als Sanitäter überfordert – seinem Leben ein Ende gesetzt.
Die Vergleichbarkeit des Pragers Kafka mit dem Salzburger Trakl, etwa wenn es um ihre durchaus problematischen Verhältnisse in der Familie oder zu Frauen geht, bleibt im Rahmen der Spekulation. Selbst dass sie beim selben Verlag angeheuert haben, bei dem renommierten Kurt Wolff in Leipzig, stiftet keine wirkliche Begegnung: Kafka brachte das Fragment „Der Heizer“, Trakl seine schmale Auswahl der „Gedichte“ in der prominenten Reihe „Der jüngste Tag“ heraus, nur wenige Monate voneinander getrennt.
Aber eine imaginäre Begegnung der beiden muss wohl im Bereich der Abbildungen erfolgt sein. Aus Briefen Kafkas an Max Brod wissen wir, dass er gelegentlich Hefte der Halbmonatsschrift „Der Brenner“ gelesen hat – in der zweiten Julinummer des Jahres 1913 fand er dort einen kritischen Text von Ulrike Brendel (das ist Leopold Liegler) über Max Brod: „Eine technische Kritik mit psychologischen Ausblicken“. Zu den vielfach im „Brenner“ vertretenen Autoren des Kreises um Ludwig von Ficker, den Herausgeber der Zeitschrift, gehörte Trakl. Dasselbe Heft, in dem Brendels Text erschien, brachte die Erstpublikation seines Gedichts „Kindheit“, von dem wir natürlich nicht wissen, ob Kafka es dort zur Kenntnis nahm. Aber auf der gegenüberliegenden Seite muss er geradezu an einer Zeichnung hängengeblieben sein: Sie zeigt einen sitzenden Mann, der vor sich herunter auf den Tisch blickt und dabei in offensichtlicher Verzweiflung eine Hand über den Kopf schlägt, während die andere auf dem Tisch aufliegt.
Es ist eine Zeichnung des „Brenner“-Karikaturisten Max von Esterle, als „Widmung für Georg Trakl“ charakterisiert. Der mag von Trakls früher im „Brenner“ abgedrucktem Gedicht „In ein altes Stammbuch“ inspiriert worden sein, wie Otto Basil vermutet hat: „Schaudernd unter herbstlichen Sternen / Neigt sich jährlich tiefer das Haupt.“ Trakl richtete Ficker jedenfalls aus: „Die Zeichnung, die Herr Esterle mir gewidmet, hat mir eine sehr tiefe Freude bereitet.“ Esterle schrieb zurück: „Sollte sie Ihnen Freude machen, so wäre mein Wunsch erfüllt, Ihre Einsamkeit für einige Monate mit Zuversicht und Trost zu bevölkern.“
Dass auch Kafka sich von Esterles Zeichnung angesprochen gefühlt haben dürfte, geht aus anderen Dokumenten hervor. Zum einen hat ihn die Technik von Zeichnungen und besonders deren Nähe zum Holzschnitt durchaus interessiert – einen seiner weniger bekannten publizierten Texte widmete er etliche Jahre später einer Ausstellung von „Tatra-Bildern von Anton Holub“: Dieser Zeichner war, so berichtet es Max Brod in seiner Ausgabe der Kafka-Briefe, als Berufsoffizier der tschechisch-slowakischen Armee eine „Lokalgröße der Zipser Gegend“, und seine offenbar „dilettantischen Landschaftsbilder“ dürften kaum den Texten Kafkas entsprechen; er sympathisierte mehr mit Holubs Aquarellen „aus abendlichen Stimmungen mit ihrem düsteren Ernst“. „Vor allem aber“, schreibt Kafka weiter, „gefallen die Federzeichnungen. Mit ihrem zarten Strich, ihrem perspektivischen Reiz, ihrer wohlbedachten bald holzschnittmäßigen, bald mehr der Radierung angenäherten Komposition sind es erstaunlich achtungswerte Leistungen.“
Die Tatsache, dass er diesen Text überhaupt verfasst hatte, beschäftigte Kafka noch einmal, wenn er in einem späteren Brief daran erinnert, dass er „einmal Kunstkritiker der Karpathenpost war“, obwohl er „überhaupt, wie ja viele Menschen wahrscheinlich, keinen primären Blick für die bildende Kunst“ habe. Deshalb sind auch die Gelegenheiten sehr rar, Kafka wie hier in Verbindung mit zeitgenössischer Kunst zu bringen.
Die von Esterle festgehaltene Geste einer sich statt nach außen gegen sich selbst richtenden Abneigung hat Kafka überdies, und das ist erstaunlich, selbst in einer Zeichnung beschäftigt: Max Brod veröffentlichte im Anhang zu seiner 1937 erschienenen Biographie des Freundes eine Reihe von Zeichnungen Kafkas, deren Originale nicht zugänglich waren, sich aber nach der Vermutung von Friederike Fellner im Nachlass Brods befinden könnten, der unlängst in Jerusalem der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Darunter sind auch sechs Figuren in unterschiedlichen Haltungen, deren eine im Seitenprofil gezeigt wird: Sie sitzt nicht an einem Tisch, aber mit auf die Brust abgewinkeltem Kopf auf dem Boden, die rechte Hand liegt auf dem spitz angewinkelten Bein, die linke flach auf dem ausgestreckten anderen Bein.
Aber vor allem entspricht das Motiv aus Esterles „Widmung für Trakl“ einer Aufzeichnung, die Kafka in seiner Zürauer Zeit festgehalten und später für die geplante Aphorismensammlung abgeschrieben hat: „Den ekel- und hasserfüllten Kopf auf die Brust senken“, so lautet die von Kafka durchgezählte Nummer 42 des Konvolutes.


 

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