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Montag, 26. August 2019

Re: PROJEKT DEAL UND SPRINGER NATURE VEREINBAREN RAHMEN FÜR WELTWEIT UMFANGREICHSTEN OPEN ACCESS-TRANSFORMATIONSVERTRAG / Kai Geschuhn

Sehr geehrter Herr Prof. Kuhlen,
vielen Dank für Ihre Reaktion und Ihre kritischen Anmerkungen zur neuen DEAL-Vereinbarung. Sie werfen wichtige Fragen auf, die ich im Folgenden versuchen möchte, zu beantworten.
Projekt DEAL ist angetreten, bundesweite Lizenzverträge mit den drei großen Wissenschaftsverlagen zu verhandeln, zunächst einmal, um den Zugang zu den Inhalten dieser Verlage für ALLE Wissenschaftseinrichtungen maßgeblich zu verbessern, und das zu fairen Konditionen. Dieses Ziel ist erreicht worden: sowohl der Wiley-Vertrag als auch der zukünftige Springer Nature-Vertrag ermöglichen den berechtigten Einrichtungen eine Teilnahme im Rahmen der bisherigen lokalen Bibliotheksausgaben für diese Verlage, jedoch erhält man dafür nun Zugriff auf das GESAMTE Zeitschriftenportfolio der Verlage. Ebenso können die zahlreichen Fachhochschulen und kleineren Wissenschaftsstandorte teilnehmen, die zuvor überhaupt nicht oder nur in sehr kleinem Umfang lizenzieren konnten.
Sie schreiben „Ich hatte mir das einmal ganz anders für DEAL vorgestellt. Ich dachte, DEAL bezahlt pauschal einen sicherlich hohen Betrag an die Verlage (…), und dann können alle Wissenschaftler in Deutschland die Springer-, Wiley-Produkte nach OA-Prinzipien nutzen.“ Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie hier richtig verstehe: Durch die DEAL-Verträge können nun die Wissenschaftler*innen an deutschen Forschungs- und Hochschuleinrichtungen auf die Zeitschriften der Verlage nahezu vollumfänglich zugreifen, eine Nutzung zu OA-Prinzipien kann jedoch nach wie vor nur bei jenen Artikeln möglich sein, die unter einer freien Lizenz publiziert wurden, entweder hybrid in den Subskriptionszeitschriften oder in reinen OA-Zeitschriften.
Hier setzt allerdings das zweite Prinzip der DEAL-Verträge an: Sie stellen sicher, dass die Publikationen von Wissenschaftler*innen an deutschen Einrichtungen im Open Access erscheinen. Damit steigt der Anteil der frei verfügbaren Artikel in den Zeitschriften dieser Verlage weiter an, und je mehr Bibliotheken und nationale oder regionale Konsortien weltweit ähnliche Verträge verhandeln, desto näher kommen wir an einen Punkt, an dem das Standard-Subskriptionsmodell für wissenschaftliche Literatur abgelöst wird von einem publikationsbasierten Open Access-Modell. Für viele der etwa 20 Verlage (darunter die drei Großverlage Elsevier, Wiley, Springer Nature plus zahlreiche Fachgesellschaften wie die ACS, RSC, APS etc.), bei denen zusammengenommen etwa 80 % des deutschen Publikationsoutputs erscheinen, bietet es sich an, die bisherigen Subskriptionskosten in Open Access-Artikelgebühren umzuwandeln und diese, genau wie Sie es beschreiben, aus jenen Bibliotheksbudgets zu bestreiten, aus denen zuvor die Zugänge finanziert worden sind. Das entspricht grundsätzlich dem Ansatz der Open Access-Transformationen: Anstatt mehr und mehr zusätzliche Mittel in das Gesamtsystem zu spülen, sollen die vorhanden Mittel, die Bibliotheken seit Jahr und Tag für den Erwerb von Lizenzen und Subskriptionen aufwenden, umgewidmet werden.
Damit beenden wir das viel kritisierte „Double Dipping“ der Verlage: Es lässt sich leider nur vermuten, in welchem Umfang Wissenschaftsautor*innen jährlich Mittel für das Open Access-Publizieren außerhalb der institutionellen Publikationsfonds aufwenden, es sind aber sicher keine kleinen Beträge. Die Open Access-Finanzierung zu institutionalisieren ist so gesehen ein bewusstes Ziel, um die Gesamtkosten des wissenschaftlichen Publikationssystems im Zaum zu halten und diese überhaupt perspektivisch steuern zu können. 
Sie fragen „Wie steht es im Übrigen mit den vielen anderen Artikeln in den 1900 kommerziellen Springerzeitschriften, die nicht von Autoren an den 700 an DEAL beteiligten Organisationen produziert werden? Sind dann weiter anteilige Subskriptionsgebühren zu bezahlen?“ Wie eingangs dargelegt, können die Angehörigen der teilnehmenden Einrichtungen tatsächlich nahezu alle Inhalte der Zeitschriftenportfolios der im Rahmen von Projekt DEAL verhandelten Verträge lesen, und nicht nur die Artikel ihrer eigenen Autor*innen, für welche OA-Publikationsgebühren bezahlt wurden. Tatsächlich enthalten die Artikelgebühren aber noch anteilige Subskriptionskosten in der sogenannten „Publish and Read“-Fee (PAR Fee). Die PAR Fee ist deshalb auch noch nicht als eine marktübliche APC zu bewerten, sie reflektiert die spezifische Kostensituation in Deutschland, d.h. grob gesagt die gesamten deutschen Bibliotheksausgaben geteilt durch das durchschnittliche Publikationsaufkommen aus Deutschland für den jeweiligen Verlag. Das PAR-Modell stellt ein Zwischenstadion dar, welches schrittweise weiter in ein rein publikationsbasiertes Preismodell umgewandelt werden wird.
Sie sagen „Besonders viel werden Hochschulen mit publikationsintensiven Forschern zahlen müssen“. Das ist wohl der am heißesten diskutierte Punkt im Kontext der Open Access-Transformation. Wie beschrieben, ist es gelungen, die Verhandlungsziele im Rahmen der bisherigen Ausgaben der deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken für die entsprechenden Verlage zu erreichen. Beim Wiley-DEAL-Vertrag wird gegenüber dem Verlag publikationsbasiert bezahlt, d.h. Wiley rechnet mit der MPDL Services GmbH jede Publikation berechtigter Autor*innen in Höhe der PAR Fee (2.750 EUR ) ab. Die Kosten für den Beitritt einer einzelnen Einrichtung bemessen sich aber zunächst weiterhin an den jeweiligen bisherigen Subskriptionsausgaben bei dem Verlag.
Über den Vertragszeitraum hinweg ist jedoch der Umstieg auf das Publikationskostenmodell auch auf Ebene der einzelnen Einrichtungen geplant. Es ist völlig richtig, dass das, was sich für Gesamtdeutschland so schön kostenneutral darstellt, lokal zu Verschiebungen und zum Teil auch zu Mehrkosten bei einzelnen Verlagen führen kann. Pauschal kann ich Ihrer Aussage, dass dies Hochschulen mit publikationsstarken Forschern betrifft, aber nicht zustimmen. Nicht das lokale Publikationsaufkommen an sich ist entscheidend, sondern in welchem Verhältnis es zu den bisherigen Subskriptionsausgaben steht. Publikationsintensive Standorte mögen ebenso vergleichsweise hohe Subskriptionsausgaben haben. Ohne die Problematik perspektivisch steigender Kosten für einzelne Einrichtungen bei einigen Verlagen einfach vom Tisch wischen zu wollen, spricht aus einer Informationsversorger-Perspektive heraus dennoch Vieles dafür, diesen Weg selbst dann mitzugehen:

- Die Umstellung erfolgt schrittweise. Die mehrjährigen DEAL-Verträge bieten einen Rahmen für lokale Reorganisationsprozesse wie z.B. der Zentralisierung der OA-Finanzierung in der bibliothekarischen Erwerbung. Haushaltsplanung und Budgetierung können in diesem Zeitraum überprüft und angepasst werden. Gleichfalls lassen sich Möglichkeiten eruieren, um Gewinner-Verlierer-Szenarios solidarisch auszubalancieren, etwa auf Bundesländerebene. Darüber hinaus entstehen Förderprogramme, um lokale Härten in der Transformationsphase auszugleichen.
- Einsparungen auf anderen Ebenen, z.B. bei Verlagen, bei denen sich das Verhältnis Publikationskosten-bisherige Subskriptionskosten günstiger darstellt, können zur Finanzierung von Mehrkosten genutzt werden. Eingesparte „Double Dipping“ Hybrid-OA-Kosten aus Forschungsbudgets können ggfls. zentralisiert werden.
- Wie dargelegt, ist der derzeitige Level der PAR Fee nicht das letzte Wort. Sie bietet zum jetzigen Zeitpunkt vor allem einen Einstieg in ein transparenteres Bezahlmodell für die Kernverlage. Im Unterschied zum Subskriptionssystem entstehen die Kosten nun pro erbrachte Leistung und werden vergleichbar. Das Konzept der kundengesteuerten Erwerbung (Patron-Driven-Aquisition), das in Bibliotheken seit vielen Jahren im Bereich des Monographienerwerbs diskutiert und eingesetzt wird, lässt sich im Zuge der OA-Transformation auf den Zeitschriftenbereich übertragen. Anstatt beliebig wachsende Zeitschriftenpakete zu erwerben, wohl wissend, dass oft nur ein Bruchteil der Titel tatsächlich genutzt wird, werden bei der Finanzierung von Open Access-Publikationsgebühren Gelder direkt dort allokiert, wo eine unmittelbare Nachfrage entsteht. 
Und nicht zum Schluss geht es in der Tat bei der OA-Transformation, genau wie Sie schreiben, darum, „das ganze Geld zur Unterstützung von OA-Produkten (einschließlich Monographien und Lehrbücher)“ zu verwenden. Das Verhandeln von Open Access-Verträgen mit den kommerziellen Großverlagen ist dabei ein essentieller Baustein einer Gesamtstrategie. Diese möchte eben nicht nur einfach Subskriptionen durch APCs ersetzen, sondern zielt darauf ab, die derzeitigen Finanzströme und das herrschende Geschäftsmodell zu durchbrechen, sodass überhaupt Mittel frei werden können, um alternative Publikationsinitiativen aus der Wissenschaftsumgebung, wie z.B. der Open Library of Humanities, SciPost, LIBRARIA, Language Science Press usw., und weitere Innovationen, die die digitalen Möglichkeiten für die Wissenschaftskommunikation endlich ausschöpfen, zu finanzieren. Es gibt keine Gründe, anzunehmen, dass der Umstieg auf ein Open Access-Modell die Marktmacht der kommerziellen Großverlage weiter stärken wird. Zehntausende Artikel aus deutschen Wissenschaftseinrichtungen werden frei verfügbar und es werden ja gerade keine Nutzungsrechte mehr an den Verlag übertragen. Damit entsteht perspektivisch mehr und nicht weniger Wettbewerb, da nun eben nicht mehr nur die bisherigen Player berechtigt sind, Informationsprodukte darauf aufzubauen. Dass, wie Sie sagen, die Einnahmen für die Verlage jetzt sicher kalkulierbar sind, ist für den Wiley-Vertrag nicht ganz richtig, da tatsächlich nur das bezahlt wird, was publiziert wird. Auch in diesem Sinne ist das Pay-as-you-publish-Modell eine Verbesserung gegenüber mehrjährigen vorausbezahlten Subskriptionsverträgen.
Die DEAL-Vereinbarungen können doch gegenüber dem bisherigen Status Quo nur als Verbesserung gesehen werden, sowohl in Bezug auf eine flächendeckende  Literaturversorgung in Deutschland als auch auf die praktische Umsetzung von Open Access in der Breite. Hinzu kommt eine zuvor nie dagewesene strategische Positionierung gegenüber den Verlagen, die dadurch möglich wurde, dass sich alle deutschen Wissenschaftsorganisationen mit den Zielen von Projekt DEAL solidarisiert haben. 

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