Kritische Geister konnten im Frankreich des 18. Jahrhunderts leicht mal
eingekerkert werden, einfach so, ohne Prozess. Das widerfuhr auch Denis Diderot. Der war geschockt, doch lernte auch daraus.
„Voltaire verhaftet man nicht“, hat bekanntlich de Gaulle im Hinblick
auf Sartre gesagt, als der sich mal wieder mausig machte und 1968 die
Revolution ausrief. Weder Sartre noch Voltaire sind denn auch jemals
verhaftet worden. Aber ein anderer Vertreter der französischen
Aufklärung, dessen literarische Werke, im Gegensatz zu denen von
Voltaire, immer noch gelesen werden und dessen Enzyklopädie das Wissen
des „siècle des Lumières“ bündelte – Denis Diderot also: der wurde
tatsächlich inhaftiert. Es war der schwarze Tag in seinem Leben.
Dazu muss man wissen, dass im Ancien Régime missliebige Personen per
„lettre de cachet“ vom Fleck weg in Haft genommen und ohne Prozess ins
Gefängnis geworfen werden konnten. Genau so geschah es Diderot. Man
schrieb den 24. Juli 1749, als um halb acht Uhr morgens ein Kommissar
sowie der Inspektor der Königlichen Zensurbehörde in Diderots Wohnung
eindrangen, seine Papiere beschlagnahmten, ihn verhörten und sogleich
mitnahmen, um ihn ins berühmt-berüchtigte Chateau de Vincennes vor den
Toren von Paris zu bringen, das damals als Staatsgefängnis fungierte. Diderot war zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt. Seit vier Jahren lebte er
mit Frau und drei kleinen Kindern in der zweiten Etage der Rue de
l’Estrapade Nr. 3, ein Haus, das noch heute existiert. Es ist im Süden
des Hügels Ste. Geneviève gelegen, hinter dem Pantheon und dem Lycée
Henri IV, also dort, wo das Quartier Latin am Lateinischsten ist.
Doch was war Diderots Verbrechen? Nun, er hatte, wie schon manches Mal
zuvor, dem Atheismus das Wort geredet und die „guten Sitten“ verletzt.
Der für sein Verfahren ausschlaggebende, inkriminierte Text hieß
übrigens „Brief über die Blinden zum Gebrauch der Sehenden“, und was als
Erstes von Diderot verlangt wurde, war, sich für ihn zu entschuldigen
und Besserung zu geloben.
Doch bei dieser erzwungenen Selbsterniedrigung blieb es nicht. Ohne zu
erfahren, was man mit ihm vorhabe und wielange seine Gefangenschaft
dauern würde, steckte man den damals bereits bekannten Autor
in eine der Zellen im Erdgeschoss des mittelalterlichen Wehrturms in
Vincennes, in denen später auch der Marquis de Sade und Mirabeau
schmachten sollten. Wobei man sich das Schmachten wohl nicht allzu
quälend vorstellen muss. Die Zellen, die man heute besichtigen kann,
waren geräumig. Aus einem vergitterten Fenster empfingen sie Tageslicht.
Die Gefangenen konnten über einen Flur ins Freie gelangen und in einer
Art Sperrbezirk um den Turm herum promenieren. Man durfte sie auch
besuchen. Rousseau hat mehrfach beim Häftling Diderot in Vincennes
vorbeigeschaut.
Diderots Haft endete nach drei Monaten so abrupt und unvorhergesehen,
wie sie begonnen hatte. Es waren seine Kollegen von der Enzyklopädie,
die seine Unverzichtbarkeit für das Unternehmen bei den entsprechenden
Adressaten geltend gemacht hatten. Den Ausschlag gaben – damals schon! –
wahrscheinlich wirtschaftliche Interessen, denn die ökonomische und
nationale Bedeutung der europaweit gekauften Bände des großen Lexikons
zeichnete sich bereits ab. Aber Diderot hatte seinen Schock weg. Er
wurde nun ein Virtuose im Erfinden von Schreibstrategien, die ihn davor
bewahren sollten, mit dem Gesetz erneut in Konflikt zu geraten. Was wir
heute an seinen Schriften so besonders reizvoll finden: Die Überführung
systematischer philosophischer Reflexionen in Essay und Dialog, sie war
ein Ergebnis jenes schwarzen Tages, als die Staatsgewalt seiner freien
Existenz (vorübergehend!) ein Ende bereitete.
via https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article198859145/Actionszenen-der-Weltliteratur-Diderot-muss-in-den-Knast.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen