Wie steht es um das Urheberrecht im globalen Maßstab? Und wie lässt sich
der Einfluss der Internetgiganten begrenzen? Hugo Setzer, Präsident der
Verleger-Union IPA, und Jessica Sänger vom IPA-Urheberrechtsausschuss
über ihren Handlungsspielraum.
GAFA, die Big Four der Internetwirtschaft von Google bis Amazon,
betreiben in ihrer Lobbyarbeit viel Aufwand, um Gesetzesinitiativen zum
Urheberrechtsschutz oder zur (angemessenen) Vergütung kreativer
Leistungen zu Fall zu bringen. Dabei schrecken sie auch vor einer
massiven Beeinflussung von Organisationen der Zivilgesellschaft oder
Regierungen nicht zurück. Was kann die IPA dagegen tun?
Hugo Setzer:
Es ist nicht einfach, wenn man bedenkt, dass es sich um die größten und
reichsten Unternehmen in der Geschichte der Menschheit handelt. Wie
schon der Journalist Robert Levine sagt: »Google hat so viel Interesse
an freien Inhalten wie General Motors an billigem Benzin. Deswegen gibt
die Firma Millionen Dollar für Lobbying aus, um das Urheberrecht zu
schwächen.« Was wir in der IPA dagegen tun, obwohl wir keine Millionen
Dollar zur Verfügung haben, ist, mit der WIPO, der Weltorganisation für
geistiges Eigentum, und mit nationalen Gesetzgebern
weltweit zusammenzuarbeiten, um den regulatorischen Rahmen zu verbessern
– häufig mit Erfolg. In Europa arbeiten wir sehr eng mit der Federation
of European Publishers zusammen.
Jessica Sänger: Unsere
Lobbyarbeit ist zuverlässig und glaubwürdig. Das erreichen wir auch
durch das Einbinden der Verleger selbst, die den Entscheidungsträgern
am besten erklären können, welche Auswirkungen zum Beispiel eine
Schrankenregelung hat.
Hat die IPA Verbündete im Kampf gegen die Internetgiganten?
Hugo Setzer:
Ja, im Prinzip sind das alle Rechteinhaber der Buchbranche – Autoren
und Verwertungsgesellschaften –, aber auch die Rechteinhaber anderer
Branchen, wie zum Beispiel der Musik- und Filmbranche.
Jessica Sänger:
Verbündete sind sehr wichtig – insbesondere natürlich die Urheber. Die
IPA hat die kluge Initiative ergriffen, die bei der WIPO aktiven
Verbände regelmäßiger miteinander ins Gespräch zu bringen.
Verfügt die World Intellectual Property Organization, kurz WIPO,
als Arm der Vereinten Nationen über Mittel, die Konzerne in die
Schranken zu weisen?
Hugo Setzer: In beschränktem Maße. Die WIPO wird ja von den Mitgliedstaaten gesteuert, und die sind sich da nicht immer einig.
Jessica Sänger:
Die WIPO kann nur im Bereich des geistigen Eigentums tätig werden, eine
umfassende Regulierung müsste aber auch andere Bereiche erfassen, wie
Kartell- und Wettbewerbsrecht sowie unter anderem das Steuerrecht.
Wie unmittelbar kann man überhaupt auf Google & Co. einwirken?
Muss man immer den Umweg über Gesetzgeber oder Regulierungsbehörden
nehmen?
Hugo Setzer: Der beste Weg ist definitiv über
Gesetzgeber und Regulierungsbehörden. Was auch interessant ist, ist dass
sich immer mehr Menschen dafür aussprechen, diese riesigen Konzerne
stärker zu regulieren.
Jessica Sänger: Ja, wir brauchen
Regelungen, die mit den Entwicklungen Schritt halten können, und das ist
eine große Herausforderung. Ich fürchte, auch kritische Verbraucher
haben es selbst nicht mehr in der Hand, allein durch
Verhaltensveränderungen wirklich etwas zu bewirken.
Innerhalb der WIPO wird seit Jahren über globale
Schrankenregelungen diskutiert und verhandelt, wie sie etwa im
Marrakesch-Vertrag vereinbart wurden. Wie geht die IPA mit den
Forderungen nach weiteren Schranken für Bildung, Wissenschaft und
Forschung um?
Hugo Setzer: Diese Diskussion verläuft schon
seit Jahren im Ständigen Ausschuss für Urheberrechte (SCCR) der WIPO.
Dieses Gremium tagt zweimal im Jahr, und bei jeder Sitzung hat die IPA
eine starke Delegation im Saal. Unsere Position, die wir bisher
erfolgreich verteidigen konnten, ist eindeutig: Obwohl wir den
Marrakesch-Vertrag unterstützen, sind wir klar gegen weitere globale
Schrankenregelungen, insbesondere im Bereich Bildung, Wissenschaft und
Forschung.
Jessica Sänger: Es ist wichtig zu verstehen, dass
der Marrakesch-Vertrag mit seiner Regelung für eine ganz bestimmte
Gruppe von Menschen mit Behinderungen die Ausnahme darstellt. Die
besondere Situation dieser Leser bedurfte einer besonderen Lösung,
keineswegs kann man diese jedoch einfach auf andere Bereiche ausdehnen.
Wir erklären bei der WIPO vor allem, welche Auswirkungen so etwas haben
könnte, insbesondere im Hinblick auf kulturelle und sprachliche Vielfalt
sowie die Qualität der Bildung, zu denen eine gesunde Verlagslandschaft
in den einzelnen Ländern einen entscheidenden Beitrag leistet.
Sind die WIPO- bzw. IPA-Mitglieder in ihrer Mehrheit an einem
effektiven Urheberrechtsschutz mit entsprechenden Mitteln zur
Durchsetzung interessiert? Oder zieht sich ein Graben durch die
jeweilige Mitgliedschaft?
Hugo Setzer: Bei WIPO gibt es so
einen Graben durchaus. Er verläuft zwischen den Europäischen Staaten
mit den USA und Japan auf der einen und vielen Staaten Lateinamerikas
und Afrikas sowie teilweise auch Asiens auf der anderen Seite. Die
IPA-Mitglieder treten dagegen vollkommen einhellig für einen effektiven
Urheberrechtsschutz ein.
Gibt es eine Frontstellung von
Schwellen- und Entwicklungsländern auf der einen und den starken
Volkswirtschaften des Nordens und Westens auf der anderen Seite?
Hugo Setzer:
Bei der WIPO ist dies in der Tat teilweise feststellbar. Dieses Jahr
gab es drei regionale Seminare der WIPO, bei denen die Mitgliedstaaten
Asiens, Afrikas und Lateinamerikas über globale Schrankenregelungen etwa
für Bibliotheken sowie Bildung, Wissenschaft und Forschung
diskutierten. Die Seminare fanden in Singapur, Nairobi und Santo Domingo
statt. Hier konnte die IPA viele Delegationen aus Staaten, die bislang
für weltweit harmonisierte Schranken plädiert hatten, mit einheimischen
Verlegern in Kontakt bringen, was das Verständnis für die Bedürfnisse
der jeweiligen heimischen Branche spürbar erhöht hat. Auch deshalb sind
die Staaten auf diesen Konferenzen letztlich nicht zu dem Ergebnis
gelangt, weltweite Schranken zu empfehlen.
Jessica Sänger:
Leider wird tatsächlich manchmal mit dem Finger auf die Industriestaaten
gezeigt und behauptet, der Schutz des Urheberrechts diene nur ihren
Interessen und ermögliche ihnen, den globalen Süden weiter auszubeuten
wie zu Zeiten des Kolonialismus. Solche Behauptungen kommen allerdings
oft von US-Amerikanern oder Europäern, die eine urheberrechtsfeindliche
Position vertreten und die Staaten gegeneinander aufbringen wollen. Ich
finde das traurig.
Wäre es nicht gerecht, die
Zugangsmöglichkeiten zu geschützten Inhalten in armen, wenig
entwickelten Ländern zu erweitern, um sie in ihrer Entwicklung zu
unterstützen?
Hugo Setzer: Die Entwicklung eines Landes
wird nicht gefördert, indem man Schrankenregelungen einführt, sondern
indem man das Urheberrecht schützt. Damit unterstützt man einheimische
Kreativität und ermöglicht Investitionen durch eine heimische
Kreativwirtschaft. Außerdem kann jedes Land die Schrankenregelungen, die
dort angemessen sind, selbst einführen, solange diese mit dem Berner
Abkommen in Einklang stehen. Dabei muss sichergestellt sein, dass diese
Schrankenregelungen die Erstellung lokaler Werke nicht beeinträchtigen,
wie es etwa in Kanada zurzeit der Fall ist.
Jessica Sänger:
Entwicklungshilfe braucht ganz andere Mechanismen als das Urheberrecht.
Weicht man dieses auf, nimmt man den Urhebern und Kreativbranchen auch
in diesen Ländern die Grundlage für ihre Entwicklung – und gerade in
weniger entwickelten Ländern stehen diese Branchen oft noch am Anfang.
Zudem würde der kostenlose Zugang zum Beispiel zu Lerninhalten der
großen europäischen Verlage in Konkurrenz treten zu den Produkten, die
von Bildungsverlagen vor Ort in den Muttersprachen der Kinder und in
Abstimmung mit dem jeweiligen Lehrplan entwickelt werden. Das würde
allen Beteiligten schaden.
Wenn man wie Sie, Frau Sänger und
Herr Setzer, die Entwicklung des Urheberrechts im globalen Maßstab
betrachtet: Wird man da gelassener, oder treten einem, umgekehrt, mehr
Sorgenfalten auf die Stirn?
Hugo Setzer: Wir machen uns
eher Sorgen. Auch wenn wir uns ständig dafür engagieren, das
Urheberrecht zu schützen, sehen wir große Herausforderungen,
insbesondere wegen der Lobby der GAFA, die ja auch einen starken
Einfluss auf die öffentliche Meinung hat.
Jessica Sänger: Auch
ich fürchte, dass wir weltweit noch viel zu tun haben werden,
insbesondere um schädliche Schrankenregelungen abzuwehren –
Gelassenheit wird aber nicht ausreichen, um hier weiterzukommen.
Wie schätzen Sie die Zukunft der WIPO ein? Welche Schwerpunkte werden Sie in den kommenden Jahren beschäftigen?
Hugo Setzer:
Das ist auch eine Frage, die uns beschäftigt. Was passiert, wenn die
Diskussion um globale Schrankenregelungen für Bildung, Wissenschaft und
Forschung vorbei ist? In unserem Urheberrechtsausschuss befassen wir uns
bereits mit dieser Frage und haben auch mehrere mögliche Themen
besprochen.
Jesica Sänger: Wir könnten uns zum Beispiel gut
vorstellen, dass aktiv darauf hingewirkt wird, dass mehr Staaten die
existierenden Verträge über die Rechte von Urhebern ratifizieren und
umsetzen. Bei der WIPO schaut man sich zudem sehr genau die
technologischen Entwicklungen an. Ich denke, künstliche Intelligenz wird
ein Bereich sein, der auch im Hinblick auf das geistige Eigentum
diskutiert werden wird. Die WIPO wird überall da eine Rolle spielen
wollen, wo neue Herausforderungen und Fragen rund um das geistige
Eigentum entstehen.
Hugo Setzer ist CEO des mexikanischen Verlags Manual
Moderno und seit Anfang dieses Jahres Präsident der IPA (International
Publishers Association).
Jessica Sänger ist Direktorin des Stabsbereichs Europäische
und Internationale Angelegenheiten beim Börsenverein und seit Mai 2019
Vorsitzende des Urheberrechtsausschusses der Internationalen
Verleger-Union IPA.
via https://www.boersenblatt.net/2019-08-29-artikel-_wir_werden_weltweit_noch_viel_zu_tun_haben_-hugo_setzer_und_jessica_saenger_ueber_das_urheberrecht_im_globalen_massstab.1713431.html
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