Das Interview führte Claudia Detsch
In der vergangenen Woche begann das Verfahren
zur Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange von
Großbritannien an die USA. Was droht Assange bei einer Auslieferung?
Es drohen ihm nach 18 verschiedenen
Anklagepunkten zusammengerechnet bis zu 175 Jahre Haft. Allein das macht
schon deutlich, dass hier ein Exempel statuiert werden soll.
Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für
Folter, vertritt die Ansicht, Julian Assange werde gezielt psychologisch
gefoltert. Ist dieser Vorwurf gerechtfertigt?
Es geht Assange offensichtlich psychisch
und auch körperlich sehr schlecht. Ursache ist auch der lange Aufenthalt
in der ecuadorianischen Botschaft in London. Aber auch jetzt gibt es
für ihn verschärfte Haftbedingungen in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Dafür gibt es überhaupt keine Begründung. Er muss ganz im Gegenteil
umfassende ärztliche Hilfe bekommen.
Die SPD-Fraktion will Nils Melzer in den Bundestag einladen. Was erhoffen Sie sich davon?
Das wollen wir möglichst
fraktionsübergreifend tun. Wir wollen natürlich Öffentlichkeit schaffen;
den Fall Assange, aber auch das Thema Whistleblower generell
besprechen. Aber ganz unabhängig von der Bewertung der Rolle Assanges:
Folter darf es nirgendwo geben. Melzer hat aufgerüttelt. Wir wollen ihm
die Gelegenheit geben, dem Bundestag aus erster Hand zu berichten. Gut,
dass es die Position des UN Sonderberichterstatters für Folter gibt.
Erstmals wird im Fall Assange der
Anti-Spionage-Paragraf in den USA gegen einen Journalisten eingesetzt.
Wird hier gezielt ein Präzedenzfall geschaffen?
Natürlich. Hier soll ein Gesetz von 1917
angewandt werden. Das wirkt alles sehr bemüht, einen Präzedenzfall zur
Abschreckung anderer zu konstruieren. Das Gegenteil müsste aber der Fall
sein. Menschen müssen ermuntert werden, gegenüber Unternehmen, aber
auch Behörden oder ganzen Staaten strafbares oder gar
völkerrechtswidriges Verhalten zu offenbaren. Das ist das Gegenteil von
Verrat.
Ist der Fall Assange eine Bankrotterklärung für die Rechtsstaatlichkeit in den Vereinigten Staaten?
Er wirft zumindest viele Fragen auf. Es
sieht alles danach aus, dass er nicht mit einem fairen Verfahren rechnen
kann. Deshalb darf er auch nicht ausgeliefert werden. Sondern er muss
freikommen und seinen Lebensort frei wählen können.
Was steht für die europäischen Demokratien beim Fall Assange auf dem Spiel?
Der Rechtsstaat hat eine lange europäische
Tradition. Und wir sind zu Recht stolz auf die Standards. Jedem
Eindruck, dass das in besonderen Fällen außer Kraft gesetzt werden
könnte, müssen wir energisch entgegenwirken. Ein Verstoß gegen die
Rechtsstaatlichkeit im Fall Assange hätte weite negative Wirkungen über
den konkreten Fall hinaus. Großbritannien hat sich nicht nur im Rahmen
der EU, sondern auch des Europarats zu rechtsstaatlichem Handeln
verpflichtet. In jedem Fall.
Journalisten und Whistleblower geraten nicht
nur in autoritär regierten Staaten, sondern auch im Westen zunehmend
unter Druck. Was muss getan werden, um sie vor politischer Verfolgung zu
schützen?
Wir brauchen ein umfassendes Verständnis
davon, dass Whistleblowing gut und notwendig ist. Menschen, die
schlimmste Vergehen aufdecken, sind keine Nestbeschmutzer, sondern sie
leisten einen Dienst für die Demokratie und die Menschenrechte.
Whistleblower müssen durch internationale Konventionen und Abkommen und
durch nationale Gesetze geschützt werden.
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