„Digitalisierung“ wird von der Regierung groß geschrieben. Von
Kanzlerin Angela Merkel zur Chefinnensache erklärt, sollen unzählige
Gremien den Wandel begleiten und gestalten. Das Digitalkabinett habe
sich als „Game Changer“ erwiesen, sagte Kanzleramts-Chef Helge Braun
letzten Herbst. Und nur wenig später wurde in diesem Rahmen den
versammelten Ministerinnen und Ministern die Beta-Version eines Monitoring-Tools präsentiert.
Den Stand von mehr als 500 Umsetzungsschritten soll das schicke Dashboard anzeigen, um den Fortschritt der sogenannten Umsetzungsstrategie „quantitativ messbar“ und „auf den ersten Blick grafisch erkennbar“ zu machen. Ziel sei es, schreibt die Bundesregierung,
den Einzelnen zu informieren. „Ein weiterer Vorteil: Die
Bundesregierung weiß nun auch viel konkreter, wo sie noch schneller und
besser werden muss.“
Eines der Probleme dabei: Seit Anfang Oktober
2019 heißt es, das stets aktualisierte Dashboard werde „in Kürze“
abrufbar sein. Seither scheint nicht viel passiert zu sein, die
versprochene quantitative Messung des Fortschritts lässt weiterhin auf
sich warten.
Wenn sich die einzelnen Umsetzungsschritte der Digitalstrategie
offenbar nicht so einfach darstellen lassen, dann bleibt noch der Blick
ins Budget. So ließe sich in Erfahrung bringen, in welche
digitalpolitisch relevanten Haushaltsposten die Bundesregierung
tatsächlich investiert und wo sie auf der Stelle tritt. Das dachten sich
die Grünen, nachdem sie im November in einer Sitzung des Ausschusses
Digitale Agenda keine Antworten von der Staatsministerin für Digitales
im Bundeskanzleramt, Dorothee Bär (CSU), auf ihre Fragen erhielten.
Zwar
hatten die Abgeordneten schon Wochen vor der Sitzung einen
schriftlichen Bericht angefordert. Doch die Staatsministerin kam mit
leeren Händen, da es offenbar Schwierigkeiten in den Ministerien dabei
gab, klar abzugrenzen, was „digitalpolitisch“ relevant sei und was
nicht. Also stellten die Grünen eine parlamentarische Anfrage, um sich
einen Überblick zu verschaffen.
Monate später liegt nun die Antwort der Regierung
vor – und immer noch kann sie keine umfänglichen Zahlen nennen. Sie
räumt ein, dass es „durchaus Bedarf an einer Erhebung digitalpolitisch
relevanter Haushaltsposten“ gebe. Liefern könne sie diese jedoch nicht
in vollständiger Form: Aufgrund der hohen Komplexität des Begriffs
„Digital“ falle es schwer, eine trennscharfe Abgrenzung vorzunehmen.
Über die Anfrage hatte zuerst das Handelsblatt berichtet.
„Kabinettsausschuss,
Staatsministerin, Umsetzungsstrategie – die Bundesregierung hat viel
versucht, um ihre Digitalpolitik intern besser abzustimmen und nach
außen handlungsfähiger zu erscheinen“, sagt der grüne
Wirtschaftspolitiker Dieter Janecek. „Und trotzdem konnte bisher niemand
klar benennen, an welchen Stellen genau die Bundesregierung überhaupt
wieviel Geld für digitalpolitische Maßnahmen ausgibt.“
Ganz ohne Zahlen lässt die Regierung die Öffentlichkeit jedoch nicht
zurück – im Gegenteil. Wo es ihr möglich schien, listet sie auf 31
Seiten einschlägige Haushaltsposten der Jahre 2019 und 2020 auf. So
lässt sich etwa nachvollziehen, dass das Projekt
„Passwortkandidatenerzeugung mittels Künstlicher Neuronaler Netze“
derzeit ausgesetzt ist, 500 Millionen Euro für „Mikroelektronik für die
Digitalisierung“ eingeplant sind und sich die Regierung die
„Serviceorientierte Bündelung des Bewegtbildcontents zur
Gesundheitsaufklärung“ 50.000 Euro kosten lässt.
Vollständig ist
die Aufschlüsselung jedoch bei Weitem nicht. So fehlen etwa Zahlen aus
dem Verteidigungsministerium. Eine klare Differenzierung nach
Digitalisierung und Nicht-Digitalisierung sei nicht möglich, schreibt
die Regierung. Zudem seien die Ausgaben haushaltssystematisch in
verschiedenen Kapiteln und Titeln abgebildet und nicht in einem Titel
oder Ausgabenbereich veranschlagt.
Künftig soll sich das bessern,
stellt die Regierung in Aussicht. Auch wenn sie betont, dass sie
Aussagekraft einer solchen Übersicht nicht überschätzt werden dürfe,
will sie einmal im Jahr mittels einer entsprechenden Ressortabfrage
einen Überblick über digitalpolitisch relevante Haushaltsposten
erstellen.
„Gut, dass sich zumindest das zukünftig ändern soll“,
sagt Janecek. Allerdings könnten neue Berichte weder die bisher fehlende
digitalpolitische Strategie noch eine mit klaren Kompetenzen und
entsprechenden Ressourcen ausgestattete digitalpolitische Koordinierung
ersetzen, so Janecek. „Hier muss die Bundesregierung endlich für echte
digitalpolitische Steuerung sorgen.“
Ob ihr das gelingt, dürfte sich bald herausstellen. „Die
Bundesregierung hat sich in der Umsetzungsstrategie dazu verpflichtet,
das Erreichen der Fortschritte zu messen und zu veröffentlichen“, sagt
ein Regierungssprecher auf Anfrage. Jeweils halbjährlich wird der
Umsetzungsstand der Strategie abgefragt, die nächste Erhebung ist zu
Ende März 2020 geplant.
An der Umsetzung Interessierte müssen sich
aber vermutlich noch in Geduld üben. „Die Veröffentlichung wird
iterativ erfolgen, da auch das Dashboard – wie die Umsetzungsstrategie
an sich – permanent weiterentwickelt werden soll“, sagt der
Regierungssprecher. Eine erste Veröffentlichung soll „nach Abschluss der
zur Zeit laufenden Aktualisierung der Umsetzungsstrategie erfolgen.“
Wann dies abgeschlossen sein soll, bleibt jedoch völlig offen.
via https://netzpolitik.org/2020/bundesregierung-wird-opfer-ihrer-eigenen-ankuendigungspolitik/
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