Ein kleines Gedankenexperiment in Zeiten von Corona: Man stelle sich
vor, Bundeskanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn hätten auf
ihrer gemeinsamen Pressekonferenz am Mittwoch #DeutschlandbleibtzuHause
als das Motto für die kommenden Wochen ausgerufen und folgendes
Maßnahmenpaket zur Bekämpfung und Eindämmung des Coronavirus verkündet:
Ab sofort wird bundesweit der Schul- und Universitätsbetrieb
eingestellt. Alle Tagungen, Konferenzen, Meetings und Kongresse sind bis
auf weiteres verboten. Bibliotheken und Archive haben ihre Pforten zu
schließen. Das gesamte kulturelle Leben wird einstweilen eingestellt:
Alle Museen, Ausstellungen und Sehenswürdigkeiten werden dichtgemacht.
Theater, Opern und Kinos stellen ihren Spielbetrieb ein. Konzerte haben
auszufallen.
Damit aber nicht genug: Auch alle Clubs, Diskotheken und Bars dürfen
nicht mehr öffnen. In ganz Deutschland dürfen keine Gottesdienste mehr
gefeiert werden, es finden weder Hochzeiten noch Beerdigungen statt.
Alle Sportereignisse sind abgesagt, Fitnessstudios und Sportstätten
geschlossen. Restaurants, Cafés und Spätis müssen ausnahmslos ab sofort
den Betrieb einstellen. Sämtliche Geschäfte sind in ganz Deutschland
umgehend zu schließen, lediglich Lebensmittelläden und Apotheken dürfen
weiterhin geöffnet sein.
Und schließlich wird gleichsam eine Ausgangssperre verhängt: Die
eigene Wohnung sollte ab sofort bestenfalls nicht mehr verlassen werden.
Private Feste und Zusammenkünfte sind zu unterlassen, auch gemeinsame
Abendessen mit Freunden zu Hause. Die Wohnung darf nur noch aus wenigen
Gründen verlassen werden: aus gesundheitlichen Gründen, zum
Lebensmitteleinkauf oder weil man auf dem Weg zur Arbeit ist. Wenn man
das Haus verlässt, ist auf einen Abstand von mindestens 1,5 Metern zum
nächsten Menschen zu achten, Menschenansammlungen sind verboten. Und wer
sich unbefugt im Land bewegt, dem droht gar Haft. Eine gespenstische
Stille würde sich über die leergefegten Städte senken.
Nichts davon konnte man in Deutschland bisher hören.
Wäre es gesagt worden, wäre kaum vorstellbar, dass Merkel für ein
solches per Dekret verordnetes Maßnahmenpaket von allen Seiten
Zustimmung erhalten hätte und über 90 Prozent der Bevölkerung es
befürworten würden. Und noch weniger scheint vorstellbar, dass sich die
Deutschen ohne Protest an die Vorschriften hielten, alle Läden
dichtmachten, zuhause blieben und derartig weitreichende Eingriffe in
ihre Grundrechte der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit schlicht
akzeptierten.
Dieses Szenario mag
für die meisten wie Science-Fiction klingen, ist in Italien aber jetzt
Realität. Innerhalb einer Woche hat die italienische Regierung mit drei
sich einander verschärfenden Dekreten das öffentliche Leben völlig zum
Stillstand gebracht und ein Maßnahmenbündel erlassen, das historisch in
einer westlichen Demokratie ohne Vorbild ist. Dass im katholischen
Italien keine Messen mehr gefeiert werden und der Petersdom die Pforten
schließt, das hat es selbst zu schwersten Pestzeiten nicht gegeben. Und
dass die Italiener ihr soziales Leben von Bozen bis Palermo umstandslos
einstellen und einander meiden statt miteinander auszugehen, das ist ein
historisch beispielloser Akt von Gemeinsinn und Verantwortungsgefühl.
Ganz genau sollte Europa jetzt nach Italien schauen und von Italien
lernen, wie das Land innehält, um eine Krise von bedrohlichem Ausmaß in
vielleicht letzter Sekunde doch noch abwenden zu können. Die
Infektionszahlen der mit dem Coronavirus Erkrankten sind in den letzten
Tagen in Italien gleichsam explodiert. Es droht ein völliger Kollaps des
Gesundheitssystems. Wenn selbst die hocheffizienten und bestens
ausgestatteten Krankenhäuser der Lombardei bald nicht mehr ausreichend
Intensivplätze zur Verfügung haben, um alle Patienten mit schweren
Verläufen zu behandeln, dann wird dies in schwächer entwickelten
Regionen Italiens (und sicher auch bei dem überwiegenden Rest Europas)
noch viel weniger der Fall sein. Das Land soll durch diese drastischen
Maßnahmen gleichsam sediert werden. Dadurch, dass jede unnötige Bewegung
verboten wird, soll die Möglichkeit der Ausbreitung eingedämmt werden,
mit dem Ziel, die Infektionskurve abzuflachen und somit eine
ausreichende medizinische Versorgung der schwer Erkrankten zu
ermöglichen.
Zehn Tage, exakt zehn Tage trennen Deutschland von Italien! Vor zehn
Tagen hatte Italien dieselben Fallzahlen von mit dem Coronavirus
infizierten Personen wie Deutschland sie heute hat. Und es besteht kein
Grund zur Annahme, dass das Virus sich in Deutschland langsamer
verbreiten wird. Deswegen sollte Deutschland sehr aufmerksam Richtung
Süden schauen und sehr schnell von Italien lernen.
Dies passiert bis dato noch nicht – im Gegenteil, man mokiert sich über
die italienische Organisationskultur. Es gilt, schnell und entschlossen
zu handeln und zu vermeiden, was anfänglich in Italien schief lief. Es
gab jedoch nichts, an dem sich Italien hätte orientieren können. Die
übrigen europäischen Länder finden hier jedoch nun Blaupausen und können
damit wertvolle Zeit gewinnen – sie müssen nur den Mut haben, den die
italienische Regierung bewiesen hat, und die Menschen müssen den
Gemeinsinn aufbringen, den die Italiener gezeigt haben.
via https://www.ipg-journal.de/regionen/europa/artikel/detail/wenige-tage-trennen-deutschland-von-italien-4154/
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