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Dienstag, 21. Januar 2020

Die digitale Achillesferse / Cathryn Clüver Ashbrook. In: Internationale Politik und Gesellschaft (IPG) 20.01.2020

Spät kam die digitale Revolution in den Außenministerien des Westens an. Als ein Großteil der Welt schon längst per Facebook und Twitter verdrahtet war, entdeckten die Ministerien die sozialen Medien.  Die Hoffnung im amerikanischen State Department war es, dass US-Innovationstechnologie Handwerkszeug der Demokratiebewegungen weltweit werden würde und dass eine beschleunigte Vernetzung der Welt zwangsläufig zu liberaleren Gesellschaftsformen führen müsse. „Twitter-Diplomatie“ wurde zu einem Kernteil der strategischen Kommunikation, wenngleich die Datenanalyse-Kapazitäten nur zögerlich hinterherkamen. „Tech for Good“ war das Motto der Zeit.
Heutzutage klingt dies fast naiv. Der Einfluss der Hyperkonnektivität und ihr Effekt auf hierarchisch organisierte und eher langsam arbeitende westliche Institutionen der Außen- und Entwicklungspolitik ist deutlicher geworden. Ungebremst durch rechtliche Barrieren oder demokratisch-institutionelle Kontrolle betreibt China im Ausland eine Art digitale Kolonialisierung und verkauft in Afrika und Asien Überwachungstechnologie im großen Stil. Russland ist in die Offensive gegangen und überzieht Europa und die Vereinigten Staaten mit Trollarmeen und Hackerkollektiven, die das neue Gesicht der internationalen Macht Moskaus darstellen. Trotz angeblich positiver Absichten ermöglichen unregulierte US-Technologietitanen die digitale Verstärkung von Menschenrechtsverletzungen. Die sozialen und politischen Auswirkungen sind immens. Und trotzdem sind die Außenministerien immer noch vergleichsweise schlecht ausgerüstet: Es mangelt ihnen an den diagnostischen Fähigkeiten, um die Informationswellen, die durch die digitale Welt fluten, zu identifizieren, analysieren und auf dieser Grundlage vorbeugend handeln zu können.
Dieses digitale Defizit wird sich im Zuge des weiteren technologischen Fortschritts noch als echte Achillesferse erweisen. Im Zuge der 5G-Systeme mit ihrer Kapazität für größere Datenströme wird die Entwicklung vielfältigerer Anwendungen für Künstliche Intelligenz (KI) und das Internet der Dinge zutiefst umwälzende Effekte auf unsere Gesellschaft und unsere Arbeitsweisen – von der Produktion bis zu den Dienstleistungen – haben. Mehr noch: Diese Entwicklungen werden unsere auf Verlangsamung von Entscheidungsprozessen gemünzten bürokratischen Institutionen vor völlig neue Herausforderungen stellen. In den Botschaften und im Ministerium selbst müssen angesichts der Möglichkeiten einer datenanalytisch getragenen, antizipatorischen Außenpolitik Prozesse neu gedacht werden.
Sicherlich bietet Big Data für die Diplomatie nicht nur Herausforderungen, sondern auch enorme Chancen. Große, gut sortierte Datenströme werden die Kapazität steigern, humanitäre Krisen vorherzusagen, die zum Beispiel durch die Folgen des Klimawandels entstehen. Die Sammlung großer Datenmengen könnte auch dazu beitragen, Desinformationskampagnen in bestimmten Ländern schneller und gezielter zu erkennen, um dann schneller eingreifen zu können. Schon jetzt erleichtern mancherorts Chatbots die mühsameren Aspekte der Konsulararbeit, etwa bei Registrierungsprozessen oder bei der nötigen juristischen Hintergrundarbeit für Flüchtlinge. Heute helfen Georeferenzierung und die Nachverfolgung in sozialen Medien zum Beispiel dem kanadischen diplomatischen Dienst und dem britischen Außenministerium dabei, zu verstehen, wo ihre Botschaften am effektivsten ankommen. In naher Zukunft könnten größere Datenvolumen und verbesserte Interpretationsmöglichkeiten dazu verwendet werden, Bürger in Not zu orten und Krisen vorherzusagen. ... [mehr] https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/detail/die-digitale-achillesferse-4010/

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