Spät kam die digitale Revolution in den Außenministerien des Westens
an. Als ein Großteil der Welt schon längst per Facebook und Twitter
verdrahtet war, entdeckten die Ministerien die sozialen Medien. Die
Hoffnung im amerikanischen State Department war es, dass
US-Innovationstechnologie Handwerkszeug der Demokratiebewegungen
weltweit werden würde und dass eine beschleunigte Vernetzung der Welt
zwangsläufig zu liberaleren Gesellschaftsformen führen müsse.
„Twitter-Diplomatie“ wurde zu einem Kernteil der strategischen
Kommunikation, wenngleich die Datenanalyse-Kapazitäten nur zögerlich
hinterherkamen. „Tech for Good“ war das Motto der Zeit.
Heutzutage klingt dies fast naiv. Der Einfluss der Hyperkonnektivität
und ihr Effekt auf hierarchisch organisierte und eher langsam
arbeitende westliche Institutionen der Außen- und Entwicklungspolitik
ist deutlicher geworden. Ungebremst durch rechtliche Barrieren oder
demokratisch-institutionelle Kontrolle betreibt China im Ausland eine
Art digitale Kolonialisierung und verkauft in Afrika und Asien
Überwachungstechnologie im großen Stil. Russland ist in die Offensive
gegangen und überzieht Europa und die Vereinigten Staaten mit
Trollarmeen und Hackerkollektiven, die das neue Gesicht der
internationalen Macht Moskaus darstellen. Trotz angeblich positiver
Absichten ermöglichen unregulierte US-Technologietitanen die digitale
Verstärkung von Menschenrechtsverletzungen. Die sozialen und politischen
Auswirkungen sind immens. Und trotzdem sind die Außenministerien immer
noch vergleichsweise schlecht ausgerüstet: Es mangelt ihnen an den
diagnostischen Fähigkeiten, um die Informationswellen, die durch die
digitale Welt fluten, zu identifizieren, analysieren und auf dieser
Grundlage vorbeugend handeln zu können.
Dieses digitale Defizit wird sich im Zuge des weiteren
technologischen Fortschritts noch als echte Achillesferse erweisen. Im
Zuge der 5G-Systeme mit ihrer Kapazität für größere Datenströme wird die
Entwicklung vielfältigerer Anwendungen für Künstliche Intelligenz (KI)
und das Internet der Dinge zutiefst umwälzende Effekte auf unsere
Gesellschaft und unsere Arbeitsweisen – von der Produktion bis zu den
Dienstleistungen – haben. Mehr noch: Diese Entwicklungen werden unsere
auf Verlangsamung von Entscheidungsprozessen gemünzten bürokratischen
Institutionen vor völlig neue Herausforderungen stellen. In den
Botschaften und im Ministerium selbst müssen angesichts der
Möglichkeiten einer datenanalytisch getragenen, antizipatorischen
Außenpolitik Prozesse neu gedacht werden.
Sicherlich bietet Big Data für die Diplomatie nicht nur
Herausforderungen, sondern auch enorme Chancen. Große, gut sortierte
Datenströme werden die Kapazität steigern, humanitäre Krisen
vorherzusagen, die zum Beispiel durch die Folgen des Klimawandels
entstehen. Die Sammlung großer Datenmengen könnte auch dazu beitragen,
Desinformationskampagnen in bestimmten Ländern schneller und gezielter
zu erkennen, um dann schneller eingreifen zu können. Schon jetzt
erleichtern mancherorts Chatbots die mühsameren Aspekte der
Konsulararbeit, etwa bei Registrierungsprozessen oder bei der nötigen
juristischen Hintergrundarbeit für Flüchtlinge. Heute helfen
Georeferenzierung und die Nachverfolgung in sozialen Medien zum Beispiel
dem kanadischen diplomatischen Dienst und dem britischen
Außenministerium dabei, zu verstehen, wo ihre Botschaften am
effektivsten ankommen. In naher Zukunft könnten größere Datenvolumen und
verbesserte Interpretationsmöglichkeiten dazu verwendet werden, Bürger
in Not zu orten und Krisen vorherzusagen. ... [mehr] https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/detail/die-digitale-achillesferse-4010/
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