Begeistert führt Barbara Zander durch den dunklen, stromlosen
Untergrund. „Was ich hier gefunden habe!“, schwärmt die
Betriebsratsvorsitzende der Deutschen Angestellten-Akademie (DAA)
und leuchtet mit ihrer LED-Grubenlampe auf Klümpchen, die golden in
einem staubigen Sack glänzen. Bernstein, jenes fossile Harz, das – meist
nach Herbststürmen – an Ostseestränden auftaucht? Nein, aber es ist
Harz aus afrikanischen Akazienbäumen. „Gummi arabicum!“, erläutert
Siegfried Schmidt fachmännisch. „Beim Steindruck, also der Lithographie,
schützt es den Stein.“
Der Künstler doziert an der Johannes-Gutenberg-Schule. Für die
Fachberufsschule für Druck- und Medienberufe stiefelt er durch die
Katakomben unter den DAA-Lehrräumen in der Augustenstraße 70/1, um mit
Stadtarchiv-Historiker Jürgen Lotterer und dem neuen Hauseigentümer,
Gert G. Clement, Geschäftsführender Gesellschafter der Singer Wohnbau
GmbH, zu sichten, was sich da an Historie aus dem 19. und 20.
Jahrhundert in Kisten und frei angesammelt hat: Rechnungen, Kladden,
Druckvorlagen, Muster, Inventare, Lithoplatten, Matern, also Matrizen
und vieles mehr. Auslöser der Aktion: Der Komplex wird abgerissen für
einen Neubau. „Zwei Gebäude mit 23 Komfortwohnungen samt Aufzug und
Tiefgarage, Wohnungsgrößen zwischen circa 20 und 124 Quadratmeter“, so Clement. Er lobt Zander,
weil sie sich so großartig in der Freizeit für historische Funde
engagiere.
Sie betont: „Mir schmerzt das Herz, wenn nicht alles ein Deckele
findet, also jemanden, der auch die ideellen Wert schätzt.“ Das gelte
auch für die Eisentreppe, die sich im Jugendstil durch alle Etagen
windet. „Mich hat das Recherchefieber gepackt! Ich habe alle
kontaktiert, die das interessieren könnte.“
Auch „Fabrikbauten in Stuttgart. Ihre Entwicklung von der Mitte des 19.
Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg“ habe sie gelesen, Gabriele
Kreuzbergers Doktorarbeit, vom Stadtarchiv verlegt. „Hier befand sich
Ende des 19. Jahrhunderts der Gärkeller der Brauerei Bachner, später
Vereinigte Brauereien Stuttgart-Tübingen AG.“ Sie zeigt auf einen
betagten Kühlklassiker: in den „Eisfink“ passten ganze Eisblocks. In den
1920er-Jahren sei dann die Druckerei Eckstein und Stähle eingezogen. Es
folgte ein Progymnasium, das sich den Bau mit der Druckerei Gloss
teilte. Mit letzteren nutzte ab 1998 die DAA die Räume. „Wir waren sehr
gerne hier“, so Zander, die den Stuttgarter Westen
von unten und die historischen Anlieger nun bestens kennt. „Und: Es gab
Verbindungen!“ Pläne von 1898 zeigen, dass man Stuttgart „unterwandern“
konnte. Der Keller zog sich Richtung Rotebühlstraße unter die
Nachbarfirma, Gustav Siegles Farbenfabrik. Davon zeugt ein einst
fluoreszierendes Schild im zweiten Kellergeschoss, das nur Mitarbeiter
der „G. Siegle & Co“ durchließ. „Es gab hier Luftschutzkeller, wie
ein Brief an Julie Stähle von 1943 beweist“, so Zander. 350 Menschen
hatten Platz.
Rund 3000 Lithosteine aus Solnhofer Naturstein lehnen
nun dort aneinander. Die Motive zeigen die Vielfalt der Druckprodukte:
eine Dame im Belle Epoque-Kleid, eine ziselierte, neogotisch anmutende
Dose, Landkarten verschiedener Jahrzehnte. „China 1942“, ist da
auszumachen. „Es waren mal 60 000 Platten“, so Zander. „Rund sind 3000
übrig. Interessierte aus Washington D.C. holten welche ab.“ Auch vom
Museum Burghalde in Lenzburg (Schweiz) waren am Wochenende Vertreter da
für das Archiv der Firma Hero, die in Stuttgart unter anderem Kataloge
drucken ließen. Die ganze Welt des Obst- und Gemüsegartens ist im Keller
zu entdecken – auf Farbauszügen, Entwürfen, Matern und Platten. Zander:
„Hero besteht über 130 Jahre – die dortigen Historiker sind total
glücklich über das Material.“
Lotterer, im Stadtarchiv für nichtamtliches Schriftgut, Nachlässe und
archivische Sammlungen zuständig, freut sich ebenso. Vorsichtig beäugt
er eine Kiste. „Solche Zufallsfunde sind wie kleine Firmennachlässe, sie
erzählen über die Zeit und Stadtgeschichte“, sagt er. „Jetzt muss
sondiert werden, was wer übernehmen könnte.“
via https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.entdeckung-in-stuttgart-unvermutete-historische-schaetze-in-katakomben.9af31b6c-4ef4-4359-b18d-e9fa1a1cb5cd.html
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