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Sonntag, 26. Januar 2020

Zentrum für verfolgte Künste Solingen

Ein bis heute relativ unbekannt gebliebenes Museum ist das 2015 gegründete Zentrum für verfolgte Künste in Solingen. Das Museum ist Malern, Bildhauern, Autoren und Musikern gewidmet, deren Werke als "entartet" eingestuft wurden oder die wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber einem Regime verfolgt werden. Betroffen waren und sind davon weltweit viele Künstler, etwa Salman Rushdie. In Europa ist das Solinger Zentrum übrigens einzigartig. Vergleichbare Institutionen gibt es nur in den USA und Brasilien. Die britische Tageszeitung The Guardian kürte es nach seiner Eröffnung prompt zu einem der zehn besten Museen der Welt. Untergebracht sind die Exponate im ehemaligen Rathaus von Gräfrath, das auch das Kunstmuseum der Stadt Solingen beherbergt.
2003 gründete der Sammler Dr. Gerhard Schneider in Absprache mit dem Museumsdirektor eine Fördergesellschaft. Wenig später gelang es Dr. Dieter Fervers, den Solinger Unternehmer Thomas Busch (Firma Walbusch) für eine gemeinsame Stiftung zu gewinnen mit einem Kapital von einer Million Euro. Neben dem Kunstsammler Dr. Schneider kam die Kunstmuseum Solingen Betriebsgesellschaft mbH als Stiftungspartei hinzu. Sie überließ das Obergeschoss des Museums auf Dauer den Präsentationen der Stiftung. Mit der Stiftungsurkunde vom 24.03.2004 wurde die „Bürgerstiftung für verfemte Künste mit der Sammlung Gerhard Schneider“ anerkannt. Die Stifter fühlen sich der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts verpflichtet, die diese Sammlung in besonderer Weise thematisiert und akzentuiert. Ein einmaliges kulturelles Gedächtnis konnte für kommende Generation gesichert werden.
Im Dezember 2004 wandte sich der Museumsdirektor an den Kulturdezernenten Gerd Schönfeld des Landschaftsverbands Rheinland (LVR). Die Bitte um Unterstützung erreichte beim LVR in Köln den ehemaligen Solinger Bürgermeister Bernd Passmann. Er handelte den Koalitionsvertrag zur Unterstützung des Solinger Projekts mit aus und stellte den Antrag, die Bürgerstiftung mit einem Anlagevermögen von zwei Millionen Euro auszustatten.
2007 erwarb die Else Lasker-Schüler–Stiftung die Literatursammlung Jürgen Serke mit circa 2500 Werken ehemals verbotener, verbrannter sowie im Exil entstandener Literatur und solcher von Dissidenten in der DDR. Die Literatursammlung wurde dem Museum zunächst als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Seit 2008 wird diese Sammlung unter dem Titel „Himmel und Hölle 1914 – 1989“ gezeigt.
Die Bürgerstiftung für verfemte Künste und die Else Lasker-Schüler–Stiftung wurden 2014 zusammengelegt zur Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else Lasker-Schüler–Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider. Die Aufgabe der neuen Stiftung besteht darin, ihren Kunst- und Literaturbestand dem Zentrum für verfolgte Künste zur Präsentation und wissenschaftlichen Bearbeitung zur Verfügung zu stellen. Das Zentrum selbst wurde am 9. Februar 2015 als gemeinnützige Betriebsgesellschaft eingetragen. Gesellschafter sind zu zwei Dritteln der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und zu einem Drittel die Beteiligungsgesellschaft Solingen (BSG), ein Tochterunternehmen der Stadt Solingen. Die Zentrum für verfolgte Künste GmbH wird unterstützt durch das LVR-Netzwerk Kulturelles Erbe.
Mit der feierlichen Eröffnung des Zentrums für verfolgte Künste am 08. 12.2015 kam eine lange Planungs- und Entstehungszeit zu einem glücklichen Ende. Im Rahmen des Festaktes hat der damalige Bundestagspräsident die offizielle Eröffnung vorgenommen. Aus dem Blick geraten darf hier jedoch nicht, dass dieses Zentrum in seiner ursprünglichen Idee auf das Gespür und die Einsichten an der bürgerlichen Basis und deren Verantwortung gegenüber den Verbrechen in der deutschen Geschichte unter zwei Diktaturen zurückzuführen ist. Dass nach jahrelangem Ringen der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und die Stadt Solingen diese Idee aufgegriffen haben, um eine solche geschichtlich gebotene Notwendigkeit finanziell auf den Weg zu bringen und auf Dauer abzusichern, zeigt, dass im optimalen Fall das Miteinander bürgerschaftlichen Engagements und öffentlicher Hilfen zu einer Erfolgsgeschichte werden kann. Bereits die Gründung des Kunstmuseums Solingen 1996 war ohne privates Engagement nicht zu denken: der Unternehmer Eugen Otto Butz, der beratende Dr. Dieter Fervers, der Trägerverein Kunstmuseum Solingen und die Stiftung Baden schufen zusammen mit der Stadt Solingen Deutschlands erstes Museum als GmbH, ein Pilotprojekt, das es bis heute gibt. Die Kosten sind geringer als bei einem öffentlichen Betrieb, die Einnahmen höher. So entstand das erste Kunstmuseum in Solingen. 1997 stieß der Solinger Museumsdirektor Dr. Rolf Jessewitsch im Rahmen einer Bildausleihe auf die Sammlung Gerhard Schneider. Sie hat sich vor allem fokussiert auf diffamierte und ausgegrenzte Künstler der Nazidiktatur mit ihrer Vorstellung einer „entarteten Kunst“. Aber auch darauf, dass nach 1945 fast alle betroffenen Künstler und Schriftsteller im Abseits blieben und eine Rehabilitierung, geschweige denn eine Wiederentdeckung oder gar Ehrung nicht beabsichtigt war. Diese Begegnung des Sammlers und des Museumsdirektors legte einen Basisstein für ein „Zentrum der verfolgten Künste“, denn bereits ab 1999 fanden eine Reihe von Ausstellungen im In- und Ausland, aber auch im Solinger Kunstmuseum statt.


  

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