Sie war in der Bundesrepublik die erste Frau, die
für das Theater schrieb. Am 9. Juni ist Gerlind Reinshagen im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben.
Die Kritiker waren verblüfft. Als im Jahr 1968
am Frankfurter Theater am Turm das Stück "Doppelkopf" uraufgeführt
wurde, stand der Regisseur am Ende mit einer jungen Frau an der Rampe -
und es war nicht die Bühnen- oder die Kostümbildnerin, sondern die
Autorin. Gerlind Reinshagen war in der Bundesrepublik die erste Frau,
die für das Theater schrieb, das sorgte für Aufsehen. Ihr Stück war
seiner Zeit um einige Jahre voraus: Es handelte von der zeitgenössischen
Arbeitswelt, von den sozialen Konflikten eines Aufsteigers, und das
war, zwei Jahre nach der "Publikumsbeschimpfung" Peter Handkes, am
selben Ort und mit demselben Regisseur Claus Peymann, ein noch völlig
ungewohnter Stoff.
Gerlind Reinshagen hatte allerdings von Anfang an
wenig mit einer betont realistischen Sprache zu tun. Als Autorin blieb
sie immer am Rand der Diskurse, ihre Position lässt sich als die der
Nichtzugehörigkeit beschreiben. Sie kam vom Hörspiel her, es ging um
Rhythmus und um Dialoge, und die Gattungen hatten bei ihr fließende
Grenzen. Diese Autorin arbeitete an einer Ästhetik der Gefühle, mit
einem nervösen Gespür für feinste Regungen wie für große Ausbrüche. Die
Nazi-Diktatur und ihre Auswirkungen auf den Einzelnen war zu Beginn ihr
zentrales Thema. An konkreten Figuren, bis zum Roman "Feuer" aus dem
Jahr 2006, zeigt sie, wie die Massen der
Mitläufer die eigentlichen Säulen der Nazi-Diktatur waren. Dass sie als
Autorin mit Kinderbüchern begann, bevor sie diese Perspektive in anderen
Genres weiterführte, war in den Fünfzigerjahren ein politisches
Statement: "Nur Kinder wissen noch, was Tod ist, Schmerz."
Am 4. Mai 1926 in Königsberg/Ostpreußen geboren, machte Gerlind Reinshagen 1944
in Halberstadt ihr Abitur und wurde Apothekerin. Nach diversen
Tätigkeiten studierte sie an der Westberliner Hochschule der Künste und
lebte seit 1956 dort als freie
Schriftstellerin. Mit "Leben und Tod der Marilyn Monroe", "Himmel und
Erde" oder "Eisenherz" hatte sie auch in den Jahren nach "Doppelkopf"
auf der Bühne beträchtlichen Erfolg. Ihr zentrales Thema war die Welt
der Angestellten, das Lebensgefühl der Wirtschaftswunderjahre, wie es
der Lehrling in "Eisenherz" formuliert: "Es läuft, es läuft aber auf
absolut nichts zu." Dabei beschreibt sie dieses Milieu mit dem gesamten
Arsenal der Emotionalität. Ihre Sprache ist assoziativ,
impressionistisch, melancholisch.In ihrem ersten Roman "Rovinato oder Die Seele des Geschäfts" (1981) fällt etwas Skurril-Märchenhaftes auf, das sich über die normierte Lebens- und Arbeitswelt legt. In der Nacht von Samstag auf Sonntag ist Gerlind Reinshagen im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben.
via https://www.sueddeutsche.de/kultur/gerlind-reinshagen-dramatikerin-autorin-nachruf-1.4482668
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