Das Leid ist
in der Welt, es hinterlässt Spuren in den Gesichtern und an den Körpern
von Menschen, und wenn man diese Spuren in Fotografien abgebildet
findet, stellen sich immer Fragen: Wird dem Menschen, der da gezeigt
wird im Augenblick der Verletzlichkeit, die Würde gelassen? Ja, wird ihm
scheinbar überhaupt erst die Würde in der und durch die Fotografie
zurückgegeben? Oder wird sie ihm, der doch um die eigene Würde ringt,
schlimmstenfalls geraubt?
Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, der, wie nun bekannt gegeben wurde, in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält,
muss sich diese Fragen oft selbst gestellt haben beim Auslösen seiner
Kamera. Etwa, als er in den Neunzigerjahren die halbe Welt bereist hat,
um Flüchtende zu fotografieren in Afrika, Südamerika, Asien, dem damals
auseinanderbrechenden Jugoslawien. So verschieden die Gründe waren,
weshalb die Menschen auf diesen Bildern ihre Heimat verlassen mussten,
so sehr einte sie diese Verlusterfahrung. Das Buch, in dem Salgado
schließlich diese Bilder vereinte, ist eines seiner Hauptwerke: Migranten
hieß es bei der ersten Veröffentlichung im Jahr 2000, und als Salgado
es im Jahr 2016 erneut auflegen ließ, im Lichte der damals sogenannten
Flüchtlingskrise, änderte er den Titel in Exodus. Das Leid ist in der Zwischenzeit nicht verschwunden. Es hat Spuren in neuen Gesichtern und an neuen Körpern hinterlassen.
Mit Mitte 20 war
Sebastião Salgado selbst geflüchtet: Im Jahr 1969 emigrierte er
gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Pianistin Lélia Deluiz Wanick,
angesichts der Militärdiktatur in seinem Heimatland nach Paris. Salgado
hatte Wirtschaftswissenschaften studiert, ein Job bei der
Internationalen Kaffeeorganisation brachte ihn dann erstmals nach
Afrika. Dort erst begann er mit dem Fotografieren. Er kehrte dann auch
für eines seiner ersten großen Projekte zeitweise nach Brasilien zurück,
in den Achtzigerjahren, für eine Dokumentation über Goldminenarbeiter
in der brasilianischen Serra Pelada. Die Bilder lassen einen als
Betrachter an Dante'sche Höllenschlunde denken, sie sind beklemmende
Zeugnisse von Gewalt und Armut. Salgado hat später die Spuren des
Völkermordes in Ruanda ebenso fotografiert wie die des Irakkriegs: Im
Jahr 1991 fotografierte er etwa die weit in den Himmel reichenden
Rauchsäulen, die die von irakischen Truppen in Brand gesteckten
Ölquellen in der Wüste Kuwaits produzierten.... [mehr] https://www.zeit.de/kultur/2019-06/sebastiao-salgado-fotograf-friedenspreis-des-deutschen-buchhandels-umweltschuetzer-umweltaktivist... und eine Würdigung seines Werkes im Börsenblatt online:
Fotografien voller Schönheit und Schrecken
In Sebastião Salgados Fotografien schwelt und raucht es, es stinkt, ist infernalisch laut, unerträglich kalt oder brütend heiß. Salgados ausschließlich schwarz-weiße Fotografie arbeitet mit allen Sinnen und starken Kontrasten.
Die erste Ausstellung Sebastião Salgados, die ich vor vielen Jahren sah, war eine Erschütterung, ein anderer Begriff trifft es nicht. Die Londoner Buchmesse war gerade zu Ende gegangen; leer geredet und übermüdet machte ich mich auf den Weg zum Barbican, weil ich die Ausstellung keinesfalls verpassen wollte. Zwei Stunden später war mein Blick auf die Welt ein anderer. Einige der etwa 100 Bilder vor allem aus Salgados Arbeiten "Serra Pelada", auf denen Menschen zu sehen sind, die wie in einem gigantischen Ameisenbau unter unvorstellbaren Bedingungen in den Goldminen Brasiliens schuften, und "Migrations", in denen die ganze Welt auf den Beinen zu sein scheint, hatten mich mit einer Wucht erfasst, wie man es selten bei einer Ausstellung erlebt.
Salgado, Jahrgang 1944, ist besessen vom Medium der Fotografie. Seinen ersten Blick durch den Sucher einer Kamera zu Beginn der 70er Jahre beschreibt er als eine Art Epiphanie, doch tatsächlich kam seine Hinwendung zur Fotografie nicht von ungefähr. Salgado ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler. Es sei seine Lektüre von Marx, Keynes und anderen Theoretikern gewesen, so sagte er der "New York Times", die ihn intellektuell auf seine Arbeit als Fotograf vorbereitet habe.
Auch seine Kindheit auf einer großen Farm in Minas Gerais im südöstlichen Brasilien hat ihn wesentlich geprägt. Dort begleitete er seinen Vater zu Beginn der Regenzeit oft auf stundenlangen Fußmärschen; das sich stetig verändernde Licht, die schweren, aufziehenden Wolkenmassen, die Bergkämme in der Ferne ließen vor seinen Augen Bilder entstehen, die auch heute noch seinen fotografischen Blick bestimmen.
Auch dass Salgado als junger Mann sein Land verlassen musste und zum Migranten wurde, mag eine Rolle gespielt haben. Während der brasilianischen Militärdiktatur hatte er sich in der Oppositionsbewegung engagiert. Als diese zunehmend in den Untergrund gedrängt wurde, zog er 1969 im Alter von 25 Jahren nach Paris, um zu promovieren. Dort lebt er bis heute. ... [mehr] https://www.boersenblatt.net/2019-06-20-artikel-peter_sillem_portraetiert_friedenspreistraeger_sebasti__o_salgado.1675596.html
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