Bald spuckt der Computer ein Lebenszeichen aus. Es ist vermutlich das erste Signal, das Reich im März 1945, noch während des Krieges, aus Polen an seine Schwester Gerda sandte, die sich vor dem Krieg nach London gerettet hatte. „REICH, Marcel grüsst Gerda und Bernard Bennet“, heißt es dort. Diese Karte wurde irgendwann in Bad Arolsen angelegt, und die Archivare haben, ihrer Aufgabe gemäß, sofort versucht, Daten über den Absender zu erfassen: „relig.: jüdisch, Nat: unbekannt“. Die englisch bezeichneten Felder für Geburtstag und Geburtsort blieben frei. Die Archivare hielten auch fest, welchen Weg diese Flaschenpost gegangen war: Der Gruß des Verwandten wurde vom wiedergegründeten Polnischen Rundfunk aus dem ostpolnischen Lublin ausgestrahlt und später von der Jewish Telegraphic Agency (JTA) in eine Kladde mit heute vergilbtem Papier eingetragen. Sie trägt den Titel: „Jüdische Überlebende in Lublin/Polen, die nach Verwandten suchen“ und verzeichnet 115 Personen, die über den Rundfunk Grüße oder Kurznachrichten versandt hatten. „CLI“ als weiteres Glied in der Kette bezeichnet vermutlich den in New York ansässigen Suchdienst Central Location Index.
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Mittwoch, 12. Juni 2019
Marcel Reich-Ranicki: Ich grüße, das heißt, ich lebe noch / Gerhard Gnauck In: FAZ 05.06.2019
Ein Besuch im Archiv lohnt immer. Zum Beispiel in jenem, das dem
beschaulichen hessischen Städtchen Bad Arolsen – so darf man es sagen –
zu Weltruhm verholfen hat. Hier ist der 1944 von den Alliierten
gegründete Internationale Suchdienst zu Hause, der helfen sollte,
kriegsbedingt zerrissene Familien wieder zusammenzuführen. Er hat sich
angesichts des Wandels seiner Aufgaben jetzt einen neuen Namen gegeben:
Arolsen Archives. Hier sind, großenteils auf Papier, Informationen zu
etwa 17,5 Millionen Opfern des Nationalsozialismus gespeichert. Damit
ist das Archiv, Teil des Unesco-Weltdokumentenerbes, das größte
NS-Opfer-Archiv überhaupt. Vor allem das wehrlose Heer der
Zwangsarbeiter aus den deutsch besetzten Ländern hat in Bad Arolsen
einen Hüter seiner Erinnerung gefunden. Aber auch andere Opfer, wenn sie
nur irgendwo irgendwann eine Spur hinterlassen haben und nicht
blindlings und blitzartig ermordet wurden. Suchen wir also nach ein paar
Namen. Zum Beispiel nach Marcel Reich-Ranicki,
geboren am 2. Juni 1920 in einer polnisch-jüdischen Familie als Marceli
Reich. Am vergangenen Sonntag wäre er 99 Jahre alt geworden.
Bald spuckt der Computer ein Lebenszeichen aus. Es ist vermutlich das erste Signal, das Reich im März 1945, noch während des Krieges, aus Polen an seine Schwester Gerda sandte, die sich vor dem Krieg nach London gerettet hatte. „REICH, Marcel grüsst Gerda und Bernard Bennet“, heißt es dort. Diese Karte wurde irgendwann in Bad Arolsen angelegt, und die Archivare haben, ihrer Aufgabe gemäß, sofort versucht, Daten über den Absender zu erfassen: „relig.: jüdisch, Nat: unbekannt“. Die englisch bezeichneten Felder für Geburtstag und Geburtsort blieben frei. Die Archivare hielten auch fest, welchen Weg diese Flaschenpost gegangen war: Der Gruß des Verwandten wurde vom wiedergegründeten Polnischen Rundfunk aus dem ostpolnischen Lublin ausgestrahlt und später von der Jewish Telegraphic Agency (JTA) in eine Kladde mit heute vergilbtem Papier eingetragen. Sie trägt den Titel: „Jüdische Überlebende in Lublin/Polen, die nach Verwandten suchen“ und verzeichnet 115 Personen, die über den Rundfunk Grüße oder Kurznachrichten versandt hatten. „CLI“ als weiteres Glied in der Kette bezeichnet vermutlich den in New York ansässigen Suchdienst Central Location Index.
Bald spuckt der Computer ein Lebenszeichen aus. Es ist vermutlich das erste Signal, das Reich im März 1945, noch während des Krieges, aus Polen an seine Schwester Gerda sandte, die sich vor dem Krieg nach London gerettet hatte. „REICH, Marcel grüsst Gerda und Bernard Bennet“, heißt es dort. Diese Karte wurde irgendwann in Bad Arolsen angelegt, und die Archivare haben, ihrer Aufgabe gemäß, sofort versucht, Daten über den Absender zu erfassen: „relig.: jüdisch, Nat: unbekannt“. Die englisch bezeichneten Felder für Geburtstag und Geburtsort blieben frei. Die Archivare hielten auch fest, welchen Weg diese Flaschenpost gegangen war: Der Gruß des Verwandten wurde vom wiedergegründeten Polnischen Rundfunk aus dem ostpolnischen Lublin ausgestrahlt und später von der Jewish Telegraphic Agency (JTA) in eine Kladde mit heute vergilbtem Papier eingetragen. Sie trägt den Titel: „Jüdische Überlebende in Lublin/Polen, die nach Verwandten suchen“ und verzeichnet 115 Personen, die über den Rundfunk Grüße oder Kurznachrichten versandt hatten. „CLI“ als weiteres Glied in der Kette bezeichnet vermutlich den in New York ansässigen Suchdienst Central Location Index.
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