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Donnerstag, 30. April 2020

Das wichtigste Theaterfestival gratis im Internet / Nicole Golombek. Stuttgarter Nachrichten 29.04.2020

„Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!“, diese Rufe ertönen in schöner Regelmäßigkeit zehn Mal pro Jahr in den Theatern, die zum wichtigsten europäischen Theatertreffen nach Berlin eingeladen werden. Das Schauspiel Stuttgart ist ohnehin nicht dabei, aber auch für die eingeladenen Theater fällt die Fahrt dieses Jahr wegen der Corona-Krise aus. Das Theatertreffen findet vom 1. bis 9. Mai aber dennoch statt. Im Internet, gratis dazu, auf der Online-Plattform „Berliner Festspiele on Demand“.
Manches wird auch im Fernsehen auf dem Sender 3sat gezeigt. Etwa die Inszenierung, die das Festival eröffnet: Shakespeares „Hamlet“ vom Schauspielhaus Bochum in der Regie des Intendanten Johan Simons mit Sandra Hüller, bekannt auch aus dem vielfach preisgekrönten Film von Maren Ade, „Toni Erdmann“.
Die öffentliche Verleihung des Theaterpreis Berlin der Stiftung Preußische Seehandlung an die Schauspielerin Sandra Hüller wird voraussichtlich im Rahmen des Theatertreffen 2021 stattfinden. Der Alfred-Kerr-Darstellerpreis, in diesem Jahr mit Ursina Lardi als Jurorin, kann 2020 leider nicht verliehen werden. Simons und Hüller haben bei „Hamlet“ eine fruchtbare Zusammenarbeit fortgesetzt. Bereits Simons’ Inszenierung für die Salzburger Festspiele, Kleists „Penthesilea“ mit Jens Harzer und Sandra Hüller, hatte Kritik und Publikum begeistert. Sandra Hüller wurde von einer Jury des Fachmagazins „Theater heute“ zur Schauspielerin des Jahres 2019 gewählt.
Die „Hamlet“-Aufzeichnung steht ab 1. Mai um 20 Uhr in der 3sat-Mediathek zum Abruf bereit und wird am 2. Mai um 20.15 Uhr im 3sat-TV-Programm gesendet, erstmalig mit einer Audiodeskription und Untertiteln für Seh- und Hörbeeinträchtigte. Weil noch nicht alle der aktuell eingeladenen Arbeiten auf Video verfügbar sind, stellt 3sat in der Mediathek zwei Inszenierungen der 10er-Auswahl vom vergangenen Jahr zur Verfügung: Anna Bergmanns „Persona“-Inszenierung am Deutschen Theater Berlin und „Tartuffe oder das Schwein der Weisen“ in der Regie von Claudia Bauer (Basel).
Juhu, Berlin!-Rufe erschollen auch in Zürich, das Schauspielhaus ist mit „Der Mensch erscheint im Holozän“ von Max Frisch in der Regie von Alexander Giesche eingeladen. Der Regisseur erhält zudem den mit 10 000 Euro dotierten 3sat-Preis. Die 3sat-Jury zur Begründung: „Alexander Giesche legt mit ‚Der Mensch erscheint im Holozän‘ die erste große Inszenierung zum Thema Klimawandel vor.“
Die Inszenierung allerdings kann noch nicht als Mitschnitt gezeigt werden, dafür sind neben „Hamlet“ fünf weitere Arbeiten auf der Homepage der das Festival ausrichtenden Berliner Festspiele jeweils 24 Stunden lang zu sehen.
Neben „Hamlet“ am 1. Mai gibt es am 2. Mai ab 20 Uhr, Alice Birchs „Anatomie eines Suizids“ (Regie: Katie Mitchell) vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit der fabelhaften Sandra Gerling, die in Stuttgart Ensemblemitglied bei Armin Petras war. Außerdem am 3. Mai „Die Kränkungen der Menschheit“ von Anta Helena Recke (Kammerspiele München), am 4. Mai Tennessee Williams’ „Süßer Vogel Jugend“ vom Schauspiel Leipzig (Regie: Claudia Bauer). Es folgt am 6. Mai „Chinchilla Arschloch, waswas“ aus Frankfurt von Rimini Protokoll. Und am 8. Mai „The Vacuum Cleaner“ von Toshiki Okada (Münchner Kammerspiele).
Nicht gezeigt werden können eingeladene Arbeiten wie „Der Menschenfeind“ von Molière mit Ulrich Matthes (Regie: Anne Lenk, Deutsches Theater Berlin), „Eine göttliche Komödie. Dante Pasolini“ von Federico Bellini (Regie: Antonio Latella, Residenztheater, München) und ausgerechnet die spektakuläre Performance „TANZ. Eine sylphidische Träumerei in Stunts“ von Florentina Holzinger (eine Koproduktion mehrerer Theater, die an den Kammerspielen München Premiere hatte).
Dafür im Internet im Angebot: Live-Nachgespräche mit Produktionsbeteiligten von den Stücken, die online zu sehen sind, und das Begleit-Programm „UnBoxing Stages – digitale Praxis im Theater“. Weitere Infos zu den Stücken und dem Programm finden sich hier.
Das bedeutet, bei aller Trauer darüber, dass die Kunst nur virtuell zu erleben ist, dass nun alle Theaterfreunde ein Bild von den Produktionen machen können, die eine Kritiker-Jury als bemerkenswert gekürt hat. Normalerweise sind die Vorstellungen, die im Berliner Festspielhaus und an anderen Spielorten gezeigt werden, ruckzuck ausverkauft.

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