In der Corona-Krise gerät das Urheberrecht unter Druck: Das beobachtet der Börsenverein mit Sorge. Der Verband verweist auf entsprechende Vorstöße von Bibliotheksverbänden und dem amerikanischen "Internet Archive". Auch Helga Trüpel, bis 2019 Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, kritisiert die Entwicklung mit deutlichen Worten in der "FAZ".
Internetaktivisten und Plattformen des Silicon Valley würden aus der Corona-Epidemie neue Angriffsenergie gegen das Urheberrecht ziehen: Das konstatiert Helga Trüpel in ihrem Gastbeitrag in der "FAZ", der sich hier nachlesen lässt. Sie würden die Krise nutzen, um für "free flow of information" und "free access to culture" zu argumentieren – "ohne irgendeine Güterabwägung mit den Interessen der professionellen Urheberinnen und Urheber vorzunehmen", so die Kritik der Urheberrechts-Expertin.
Das Ziel, geschützte Inhalte zugänglich zu machen, sei zwar richtig, aber die Bedingungen müssten auch in der Krise stimmen, betont Trüpel: "Die Corona-Pandemie nun zur Delegitimierung der Urheber-Interessen zu nutzen ist schäbig, vor allem jetzt, wo viele Künstlerinnen und Künstler wegen der Krise so leiden."
Helga Trüpel bezieht sich in ihrem Artikel unter anderem auf einen Vorstoß des amerikanischen "Internet Archive" und seiner "Open Library". Die digitale Bibliothek, 1996 als gemeinnütziges Projekt von Brewster Kahle in San Francisco gegründet, hatte im März eine Art "nationale Notfall-Bibliothek" für die Zeit der Corona-Krise ausgerufen und stellt seitdem massenweise vollständig gescannte Bücher frei ins Netz – um für Nutzer zu vermeiden, aber offenbar auch ohne Erlaubnis und ohne jede Beschränkung bei der Zahl der Zugriffe.
Die "Author’s Guild" hat bereits heftig dagegen protestiert: "Wir sind schockiert darüber, dass das Internet Archive die Covid-19-Pandemie als Entschuldigung dafür nutzt, die Grenzen des Urheberrechts weiter zu verschieben und dadurch die Autoren zu schädigen, die ohnehin bereits mit den Folgen der Krise zu kämpfen haben", so der US-Verband der Schriftsteller. Auch die Association of American Publishers hat das Vorgehen scharf verurteilt. Die Debatte findet sich gebündelt unter diesem Link beim internationalen Branchendienst Publishing Perspectives.
- Organisationen, die dem Urheberrecht eher kritisch gegenüberstehen, haben am 3. April einen offenen Brief an Francis Gurry geschrieben, den Generaldirektor der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO). Unter Berufung auf die Corona-Krise würden darin bekannte Forderungen erneuert, kritisiert der Börsenverein - für großzügigere Schrankenregelungen im Urheberrecht und gegen "Einschränkungen" durch Lizenzen. Der Brief wird unter anderem von der internationalen Bibliotheksvereinigung IFLA unterstützt.
- Der europäische Verband der Wissenschaftsbibliotheken, Liber, fordert anlässlich der Krise weitreichende Lizenzierungen von Verlagen und Autoren – und will ab sofort alle Bestände auch für den Remote-Zugriff bereitstellen dürfen. In einer entsprechenden Stellungnahme von Liber heißt es zudem, dass internationale und nationale Urheberrechtsregelungen künftig auch Regelungen für das öffentliche Interesse in Zeiten einer medizinischen, ökologischen oder ökonomischen Krise enthalten sollten.
Fazit des Börsenvereins: Während die Unternehmen der Branche aufgrund der Krise ums Überleben kämpften, würden die Gegner des Urheberrechts die Gunst der Stunde nutzen, "um ihre altbekannten Forderungen nach massiv erweiterten Urheberrechtsschranken mit neuer Dringlichkeit vorzubringen."
via https://www.boersenblatt.net/2020-04-21-artikel-die_gegner_nutzen_die_gunst_der_stunde-boersenverein_warnt_vor_gefahren_fuer_das_urheberrecht.1851446.html
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