In der Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts sprang eine amerikanische Mode auf Europa über:
Kommunikation mit Geistern, die sich durch das Ruckeln eines kleinen
Tischchens mitteilten. Victor Hugo, 1852 mit seiner Familie, der
Geliebten und einigen Getreuen im Exil auf der Kanalinsel Jersey
angekommen, war für diesen Verkehr mit der Geisterwelt rasch gewonnen.
Zwei Jahre lang, bis zum Herbst 1855, wurden im erweiterten
Familienkreis regelmäßig Geister willkommen geheißen, die sich befragen
ließen und dem Tischchen ihre Antworten mit geklopftem Alphabet
diktierten.
Eine Fülle von Texten kam da zustande, die zwar nicht vollständig
erhalten, aber doch in einem eindrückliches Konvolut auf die Nachwelt
gekommen sind (sie wurden erst Jahrzehnte nach Hugos Tod publiziert).
Unübersehbar ist, dass die in ihnen zu Wort kommenden Geister hugoesker
Art sind. Schon dass nicht nur große Gestalten aller Zeiten unter ihnen
defilieren, sondern etwa auch der Ozean, der Tod oder die Kritik, lässt
das erkennen; und die Tonlage ihrer Diktate nicht minder. Welche
sympathetischen Prozesse da während der Séancen am Werk waren, darüber
lässt sich nur spekulieren, denn ein literarischer Scherz oder gar eine
Täuschung scheiden als Erklärungen aus. Der Tisch jedenfalls war, selbst
wenn kapriziöse Geister nicht immer mitspielten, ein produktiver Autor
(sogar auch Zeichner), und Hugo dachte gar nicht daran, sich selbst
zuzuschreiben, was er aus „dem Unbekannten“ geschöpft hatte. Für
prophetisch anmutende Rede hatte er schließlich eigene Ressourcen genug.
In einer Ausstellung der Bibliothèque nationale in Paris kann man gerade
zwei Protokolle von Séancen in Jersey in Augenschein nehmen. Da der
visitierende Geist in einem Fall darauf bestand, dass alle Lichter
gelöscht werden, verrutschten dem an diesem Abend zur Aufzeichnung
bestellten Hugo die notierten Buchstaben und Worte, was sich
eindrucksvoll „geisterhaft“ ausnimmt. Von diesen Seiten kann man
kurzerhand zu einigen Blättern von Henri Michaux übergehen, entstanden
während dessen ersten Meskalin-Trips Mitte der fünfziger Jahre. Auch
hier hat man eine entgleiste Schrift vor Augen, ohne Geistereinwirkung
zwar, aber um Unbekanntes ging es auch hier – um die Mechanismen, welche
die eingespielten Wege der Wahrnehmung aufhoben.
„Manuscrits de l’extrême“, so lautet der Titel der Pariser Ausstellung. ... [mehr] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/themen/manuskript-ausstellung-in-der-pariser-nationalbibliothek-16188943.html
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