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Montag, 3. September 2018

Alice-Salomon-Hochschule: Selbstgerechtigkeit statt Kunst / Petra Kohse. In: Frankfurter Rundschau 31.08.2018

Wenn einen etwas stört, muss man versuchen, es zu ändern. Und wenn man nicht allein, sondern Teil einer Mehrheit ist, kann das in öffentlichen Angelegenheiten sogar gelingen. Insofern ist der erfolgreiche Protest der Studenten der Alice-Salomon-Hochschule gegen die für sie anstößige Fassadengestaltung ihres Gebäudes prinzipiell inspirierend. Niemand soll unter Umständen leben müssen, die sie oder ihn belasten. Aus Anlass einer sowieso fälligen Sanierung in diesem September wird die Fassade der Hochschule jetzt tatsächlich neu gestaltet.
Allerdings ging es im konkreten Fall in Berlin-Hellersdorf weder um Werbung noch um politische Propaganda, sondern um Kunst. Um das aus dem Jahr 1951 stammende Gedicht „ciudad (avenidas)“, auf deutsch „stadt (straßen)“, von Eugen Gomringer, das minimalistisch und in nur acht Zeilen in rhythmischer Steigerung auf Spanisch um die Worte „Straßen“, „Blumen“ und „Frauen“ kreist und am Ende einen „Bewunderer“ dazusetzt: „avenidas/avenidas y flores// flores/ flores y mujeres// avenidas/ avenidas y mujeres// avenidas y flores y mujeres y/ un admirador“.
Wer Anzüglichkeiten sucht, kann sie überall finden, also auch hier. Aber die meisten Passanten dürften die 2011 angebrachten Zeilen, wenn sie die Übersetzung gegoogelt hatten, doch eher gefreut haben. Mehrheit ist immer relativ. Hermeneutik sowieso. Und Geschmack erst recht. Einem diffusen Unbehagen auf der Seite der Studentenschaft steht längst der konkrete persönliche Schaden gegenüber, den der 1925 geborene schweizerisch-bolivianische Dichter Gomringer erlitt. Und das inspirierend Widerständige eines Veränderungsimpulses hat sich aufgrund mangelnder Verhältnismäßigkeit im Diskurs – der ehemalige Hellersdorfer Stadtrat Heinrich Niemann sprach in dieser Zeitung von einem „Bildersturm soft“ – hier als sein Zerrbild gezeigt: als Doktrin. ... [mehr] http://www.fr.de/kultur/literatur/alice-salomon-hochschule-selbstgerechtigkeit-statt-kunst-a-1573594

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