Warum waren wir alle für Open Access, auch
wenn wir keine Bibliothekare waren, die sich um ihre von der Preispolitik der
wissenschaftlichen Großverlage gebeutelten Budgets sorgten? Weil wir meinten,
wir hätten es mit einer Bewegung zu tun, die die durch die Monopole der Großverlage
geschaffenen Probleme, die des „Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen“
und darüber hinaus der „Defizite der Wissenschaftskommunikation“, in Angriff zu
nehmen trachtete. Weil wir glaubten, wir hätten es, nähmen wir die Vielzahl von
Initiativen zusammen, mit einer Selbstorganisation der Wissenschaft zu tun, die
ein Stück Spontaneität, Autonomie und Zivilgesellschaft in die Scientific
Community brachte. Sollte das von vornherein eine Illusion und ein
Missverständnis gewesen sein?
Jedenfalls wunderte ich mich, dass die Beiträge zu Open Access
nach einer Zeit teilweise ihre Tonlage änderten und nur mehr aus
technizistischen und empirizistischen Details zu bestehen schienen. Damit
korrespondierten die Erfolge von Open Access, die bald häufig von Einrichtungen
der Förderpolitik reguliert und von bürokratischen Einrichtungen wie den
Hochschulen oder Großforschungseinrichtungen vereinnahmt, übernommen und in
bürokratische Strukturen eingebettet wurden. Sollte es nur um einen
Interessenabgleich und -ausgleich zwischen verschiedenen Typen von
Großorganisationen und um eine Verschiebung des „Immergleichen“ vom privaten
zum Public Sector gegangen sein? Führte der Widerstand gegen die Preispolitik
der Großverlage über die Big-DEAL-Verhandlungen gar zu einer Verfestigung der
Monopolpositionen der Großverlage auf Kosten der kleinen Verlage und ihrer
Zeitschriften?
Noch mehr wunderte ich mich, als die Großverlage, die sich
zunächst auf einen Boykott von „Open Access“ eingestellt hatten, ihre Strategie
änderten und damit bei der „Open Access“ -Bewegung durchkamen. Sie erweiterten
die Optionen der Finanzierungsströme für ihre Journale durch eine garantierte
Vorfinanzierung durch die Autoren und nannten das gleichfalls „Open Access“.
Sie nannten dies sogar „Goldener Weg von Open Access“ und suggerierten damit,
dass sie nicht nur ein Teil der Bewegung seien, sondern ein besonders
wertvoller dazu, nämlich ein „goldener“. Wenn man das, was die Verlage tun, und
das, was sich gegen die Verlage richtete, unter einen Begriff fasst, ohne dass
sich Widerspruch erhebt, kann man wohl wirklich nur noch über administrative
Einzelheiten sprechen, die Zahl von „Open Access“-Zeitschriften zählen und kaum
noch zur Kenntnis nehmen, dass die Großverlage gleich auch Marktführer bei Open
Access geworden sind.
Damit wird es Zeit für einen Nachruf auf die „Open
Access“-Bewegung.
Bereits die „idealistische
Phase“ der „Open Access“-Bewegung förderte eine Debatte, in der zunächst eigene
Schwächen, Negativeffekte, Kollateralschäden und Trittbrettfahrer
unterbelichtet blieben. Auch wurde es schwerer, die Monopolstellung
wissenschaftlicher Großverlage zu kritisieren (ihre Preispolitik einmal
ausgenommen), nachdem man sich scheinbar mit ihnen im gleichen Boot befand.
Mittlerweile machen gerade die Erfolge von Open Access weitere Schattenseiten
deutlich. So schätzt BMC Medice, dass jede dritte Open-Access-Zeitschrift ein
„Predatory Journal“ ist, das also auf wissenschaftliche Qualitätskontrollen
verzichtet und sozusagen jeden Beitrag nimmt, solange der Autor bzw. die hinter
ihm stehende Fördereinrichtung nur bezahlt. Soeben hat Wolfgang Klotz auf
die durch Open Access geförderte „privilegierte Partnerschaft“ zwischen
Großverlagen und Impact-Factor-Betreibern zugunsten der Verlage und zu Lasten
von Forschung, Chancengleichheit unter Wissenschaftlern und
Wissenschaftskommunikation aufmerksam gemacht und ein Einschreiten der Politik
nahegelegt („Die Kulissen des Open Access – Noch ein Teufelskreis, der mit
Bologna begann!“, in. Bibliothek und Medien 37 (2017), Nr.1-2). Man kann nur
begrüßen, dass Klotz diese Problematik aufgegriffen hat. Aber warum haben wir
darüber nicht bereits seit längerem eine Debatte?
Nun kann die „Open
Access“-Bewegung zu Recht geltend machen, dass sie für das ökonomistische
Kalkül wissenschaftlicher Großverlage und die Taten teilweise krimineller
Trittbrettfahrer nicht in Haftung genommen werden kann (wenngleich die
Übernahme des Open-Access-Modells durch die Verlage Anreize setzt, auf Masse
statt auf Qualität zu setzen). Ich vermisse an dieser Debatte aber doch
einiges. Eine „Open Access“-Bewegung, die ihrem ursprünglichen Impetus treu
geblieben wäre, würde im Laufe ihrer Entwicklung nicht nur Probleme des Zugangs
der Leser, sondern auch Zugangsprobleme der Autoren zu den wissenschaftlichen
Großverlagen diskutiert haben. Wenn mittlerweile jedes dritte
Open-Access-Journal als Predatory Journal klassifiziert werden kann, so
verweist dies auf das größere Problem, dass Wissenschaftler in Schwellen- und
Entwicklungsländern, zum Teil aber auch die Wissenschaftler in osteuropäischen
Ländern kaum eine andere Veröffentlichungschance haben. Im Übrigen werden auch,
wenn nicht die einzelnen Wissenschaftler, so doch die Wissenschaftssysteme in
entwickelten Ländern, soweit sie nicht dem anglo-amerikanischen Sprachraum
angehören, durch die wissenschaftlichen Monopolverlage und die von ihr
zementierte Vorherrschaft der anglo-amerikanischen Wissenschaft benachteiligt
und auch unser Kampf um einen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen
Spitzenplatz erschwert.
So viel technizistische
Detailhuberei und so viele empirische Untersuchungen über Open Access mit ihren
„Fliegenbeinzählungen“, und so selten das Stellen der relevanten Fragen. Müsste
die wichtigste Frage nicht lauten, was „Open Access“ der Wissenschaft an
zusätzlicher Qualität eingebracht hat? Weitere Fragen folgen: Finden die
entscheidenden Debatten in Disziplinen und Subdisziplinen im privaten oder im
öffentlichen Teil der Wissenschaftskommunikation statt (Ansatz einer
Bestandsaufnahme von Open Access, die aussagefähig wäre)? Was wird von den
Betreibern von „Open Access“-Journalen getan, um über die Einführung der
üblichen Peer-Reviews hinaus die Qualität ihrer Zeitschriften zu
verbessern? Funktioniert das „Peer-Review“-Verfahren in „Open-Access“-Zeitschriften
wirklich besser als bei Elsevier? Hängt die Qualität wissenschaftlicher
Journalen womöglich gar nicht von einer privaten oder öffentlichen Trägerschaft
ab, sondern von anderen Faktoren, und brächte es einiges, im
durchhierarchisierten Public Sector ein Stück mehr Spontaneität, Autonomie und
Zivilgesellschaft zuzulassen?
Bei ihrem Marsch durch die
Institutionen ist „Open Access“ das „Open“ abhandengekommen. Zeit für eine neue
Bewegung, die die Qualität der Wissenschaftskommunikation in den Mittelpunkt
rückt und sich nicht gleich institutionell vereinnahmen und die Zähne ziehen
lässt.via https://www.password-online.de/?wysija-page=1&controller=email&action=view&email_id=533&wysijap=subscriptions&user_id=2400
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