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Mittwoch, 8. August 2018

Die „Open Access“-Bewegung ist leider verstorben - Ein Nachruf von Willi Bredemeier

Warum waren wir alle für Open Access, auch wenn wir keine Bibliothekare waren, die sich um ihre von der Preispolitik der wissenschaftlichen Großverlage gebeutelten Budgets sorgten? Weil wir meinten, wir hätten es mit einer Bewegung zu tun, die die durch die Monopole der Großverlage geschaffenen Probleme, die des „Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen“ und darüber hinaus der „Defizite der Wissenschaftskommunikation“, in Angriff zu nehmen trachtete. Weil wir glaubten, wir hätten es, nähmen wir die Vielzahl von Initiativen zusammen, mit einer Selbstorganisation der Wissenschaft zu tun, die ein Stück Spontaneität, Autonomie und Zivilgesellschaft in die Scientific Community brachte. Sollte das von vornherein eine Illusion und ein Missverständnis gewesen sein?

Jedenfalls wunderte ich mich, dass die Beiträge zu Open Access nach einer Zeit teilweise ihre Tonlage änderten und nur mehr aus technizistischen und empirizistischen Details zu bestehen schienen. Damit korrespondierten die Erfolge von Open Access, die bald häufig von Einrichtungen der Förderpolitik reguliert und von bürokratischen Einrichtungen wie den Hochschulen oder Großforschungseinrichtungen vereinnahmt, übernommen und in bürokratische Strukturen eingebettet wurden. Sollte es nur um einen Interessenabgleich und -ausgleich zwischen verschiedenen Typen von Großorganisationen und um eine Verschiebung des „Immergleichen“ vom privaten zum Public Sector gegangen sein? Führte der Widerstand gegen die Preispolitik der Großverlage über die Big-DEAL-Verhandlungen gar zu einer Verfestigung der Monopolpositionen der Großverlage auf Kosten der kleinen Verlage und ihrer Zeitschriften?

Noch mehr wunderte ich mich, als die Großverlage, die sich zunächst auf einen Boykott von „Open Access“ eingestellt hatten, ihre Strategie änderten und damit bei der „Open Access“ -Bewegung durchkamen. Sie erweiterten die Optionen der Finanzierungsströme für ihre Journale durch eine garantierte Vorfinanzierung durch die Autoren und nannten das gleichfalls „Open Access“. Sie nannten dies sogar „Goldener Weg von Open Access“ und suggerierten damit, dass sie nicht nur ein Teil der Bewegung seien, sondern ein besonders wertvoller dazu, nämlich ein „goldener“. Wenn man das, was die Verlage tun, und das, was sich gegen die Verlage richtete, unter einen Begriff fasst, ohne dass sich Widerspruch erhebt, kann man wohl wirklich nur noch über administrative Einzelheiten sprechen, die Zahl von „Open Access“-Zeitschriften zählen und kaum noch zur Kenntnis nehmen, dass die Großverlage gleich auch Marktführer bei Open Access geworden sind.

Damit wird es Zeit für einen Nachruf auf die „Open Access“-Bewegung.

Bereits die „idealistische Phase“ der „Open Access“-Bewegung förderte eine Debatte, in der zunächst eigene Schwächen, Negativeffekte, Kollateralschäden und Trittbrettfahrer unterbelichtet blieben. Auch wurde es schwerer, die Monopolstellung wissenschaftlicher Großverlage zu kritisieren (ihre Preispolitik einmal ausgenommen), nachdem man sich scheinbar mit ihnen im gleichen Boot befand. Mittlerweile machen gerade die Erfolge von Open Access weitere Schattenseiten deutlich. So schätzt BMC Medice, dass jede dritte Open-Access-Zeitschrift ein „Predatory Journal“ ist, das also auf wissenschaftliche Qualitätskontrollen verzichtet und sozusagen jeden Beitrag nimmt, solange der Autor bzw. die hinter ihm stehende Fördereinrichtung nur bezahlt.  Soeben hat Wolfgang Klotz auf die durch Open Access geförderte „privilegierte Partnerschaft“ zwischen Großverlagen und Impact-Factor-Betreibern zugunsten der Verlage und zu Lasten von Forschung, Chancengleichheit unter Wissenschaftlern und Wissenschaftskommunikation aufmerksam gemacht und ein Einschreiten der Politik nahegelegt („Die Kulissen des Open Access – Noch ein Teufelskreis, der mit Bologna begann!“, in. Bibliothek und Medien 37 (2017), Nr.1-2). Man kann nur begrüßen, dass Klotz diese Problematik aufgegriffen hat. Aber warum haben wir darüber nicht bereits seit längerem eine Debatte?

Nun kann die „Open Access“-Bewegung zu Recht geltend machen, dass sie für das ökonomistische Kalkül wissenschaftlicher Großverlage und die Taten teilweise krimineller Trittbrettfahrer nicht in Haftung genommen werden kann (wenngleich die Übernahme des Open-Access-Modells durch die Verlage Anreize setzt, auf Masse statt auf Qualität zu setzen). Ich vermisse an dieser Debatte aber doch einiges. Eine „Open Access“-Bewegung, die ihrem ursprünglichen Impetus treu geblieben wäre, würde im Laufe ihrer Entwicklung nicht nur Probleme des Zugangs der Leser, sondern auch Zugangsprobleme der Autoren zu den wissenschaftlichen Großverlagen diskutiert haben. Wenn mittlerweile jedes dritte Open-Access-Journal als Predatory Journal klassifiziert werden kann, so verweist dies auf das größere Problem, dass Wissenschaftler in Schwellen- und Entwicklungsländern, zum Teil aber auch die Wissenschaftler in osteuropäischen Ländern kaum eine andere Veröffentlichungschance haben. Im Übrigen werden auch, wenn nicht die einzelnen Wissenschaftler, so doch die Wissenschaftssysteme in entwickelten Ländern, soweit sie nicht dem anglo-amerikanischen Sprachraum angehören, durch die wissenschaftlichen Monopolverlage und die von ihr zementierte Vorherrschaft der anglo-amerikanischen Wissenschaft benachteiligt und auch unser Kampf um einen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Spitzenplatz erschwert.

So viel technizistische Detailhuberei und so viele empirische Untersuchungen über Open Access mit ihren „Fliegenbeinzählungen“, und so selten das Stellen der relevanten Fragen. Müsste die wichtigste Frage nicht lauten, was „Open Access“ der Wissenschaft an zusätzlicher Qualität eingebracht hat? Weitere Fragen folgen: Finden die entscheidenden Debatten in Disziplinen und Subdisziplinen im privaten oder im öffentlichen Teil der Wissenschaftskommunikation statt (Ansatz einer Bestandsaufnahme von Open Access, die aussagefähig wäre)? Was wird von den Betreibern von „Open Access“-Journalen getan, um über die Einführung der üblichen Peer-Reviews hinaus die Qualität ihrer Zeitschriften zu verbessern?  Funktioniert das „Peer-Review“-Verfahren in „Open-Access“-Zeitschriften wirklich besser als bei Elsevier? Hängt die Qualität wissenschaftlicher Journalen womöglich gar nicht von einer privaten oder öffentlichen Trägerschaft ab, sondern von anderen Faktoren, und brächte es einiges, im durchhierarchisierten Public Sector ein Stück mehr Spontaneität, Autonomie und Zivilgesellschaft zuzulassen?
Bei ihrem Marsch durch die Institutionen ist „Open Access“ das „Open“ abhandengekommen. Zeit für eine neue Bewegung, die die Qualität der Wissenschaftskommunikation in den Mittelpunkt rückt und sich nicht gleich institutionell vereinnahmen und die Zähne ziehen lässt.

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