Eigentlich hatte ich ja entschieden, das Thema Open Access und die Verhandlungen mit den drei großen Verlagen aus Naturwissenschaft, Technik und Medizin nicht mehr zu kommentieren und erst dann wieder aufzugreifen, wenn abschließende Ergebnisse vorzuweisen sind. Allerdings sind nun die Verhandlungen in Deutschland – oder besser gesagt, die Treffen der Parteien zur gegenseitigen Mitteilung ihrer erklärten und unverrückbaren Ziele – zumindest mit dem Verlag Elsevier beendet worden – und zwar von Seiten der Wissenschaft und der Bibliothekare. Das hat nun eine ganz neue Dimension und deshalb müssen wir uns in der Community wieder ernsthafte Gedanken darüber machen, was es bedeuten könnte: Schon vor mehr als einem halben Jahr übertitelte die FAZ einen Beitrag zu diesem Thema mit „Ein Nervenkrieg geht in die nächste Runde“ (22. Januar 2018).
Und tatsächlich gewinnt man immer mehr den Eindruck, als handele es sich bei den DEAL-Verhandlungen mehr um einen „Krieg“ als um professionelle Verhandlungen über Konditionen und Preise. Ich möchte nicht urteilen, wer denn wem den Krieg erklärt haben könnte, aber das Spiel mit dem Feuer, das an vielen Stellen dieser Welt geradezu en vogue ist, scheinen auch die Wissenschaftsallianz in Deutschland und die ihr zuarbeitenden Bibliothekare nicht zu fürchten. Offensichtlich aber haben nicht alle Stakeholder in diesem hochgefährlichen Spiel die Konsequenzen wirklich vor Augen, werden doch die Anzeichen eines echten Kontrollverlusts immer deutlicher. Denn erstmals enden Verträge und Zugriffe auf Elsevier-Titel werden abgeschaltet. Lange genug hat ein Unternehmen geliefert, ohne dafür bezahlt worden zu sein.
Was bedeutet das nun für Wissenschaft und Bibliotheken? Ist das die Feuerprobe für die Reaktivierung der guten alten Fernleihe? Werden Forscherinnen und Forscher nun wieder in Bibliotheken Formulare ausfüllen, um ihre Papers zu erhalten, natürlich ausgedruckt und über die Hauspost?
Oder wurde und wird gar ein Großteil der Elsevier-Journale samt ihrer Inhalte von der Wissenschaft gar nicht mehr benötigt für erfolgreiches Forschen? Wenn ja, was folgt daraus für das wissenschaftliche Publizieren und die Aufgabe von Bibliotheken? War die bisherige Literaturversorgung also völlig unnötig?
Oder werden die abgeschalteten Zugriffe jetzt substituiert durch die Nutzung illegaler Plattformen, deren Nutzungsempfehlung selbst vereidigten Beamten keine Gewissenskonflikte zu verursachen scheint? Wird das Ausreizen der Illegalität im Zeitalter akzeptierter Lügen und Betrügereien jetzt auch in der seriösesten aller Branchen, dem Bibliothekswesen, salonfähig? Ich mag es mir kaum vorstellen.
Beide Alternativen wären weder für Verlage noch für die Bibliotheken schmeichelhaft. Aber das eigentlich dicke Ende könnte noch kommen: Dann nämlich, wenn die Substitutionsangebote des Document Delivery für die fehlenden Onlinezugriffe auf Elsevier-Inhalte gar nicht genutzt werden, während in Wissenschaft und Forschung weiter erfolgreich gearbeitet, gelesen und publiziert wird. Dann nämlich wären weder die Versorgung mit Inhalten noch das Verhandeln von Open-Access-Verträgen eine Aufgabe von Bibliotheken. Und all jene Bibliothekare, die sich jetzt so weit aus dem Fenster gelehnt haben, hätten dann ein echtes Legitimierungsproblem.
Ich wünsche uns allen, dass die Fernleihbestellungen in die Höhe schießen und Wissenschaftler landauf landab darüber klagen, dass sie nun ohne Elsevier-Zugriffe nicht mehr forschen können.
Sie sehen, der Nervenkrieg geht tatsächlich in die nächste Runde und es bleibt zu hoffen, dass es nur die Nerven sind, die hier Schaden nehmen.
Denn schon steht das nächste aufregende Thema vor der Tür: Im ersten Beitrag der vorliegenden Ausgabe der Library Essentials geht es nämlich um „Predatory Journals“ von Raubverlagen. Aber das ist schon wieder eine neue Geschichte.
Herzlich
Ihr Rafael Ball
via Library Essentials Editorial 6-2018
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