Vor 30 Jahren wurde das Ministerium für Staatssicherheit entmachtet.
Die Akteneinsicht und Aufarbeitung des DDR-Geheimdienstes wurden durch
die Einrichtung der Stasi-Unterlagen-Behörde ermöglicht. Künftig sollen
die Dokumente im Bundesarchiv verwaltet werden – was bedeutet das für
die Behörde?
Am 15. Januar 1990 stürmten mehrere Tausend Menschen die Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße. Es war die letzte noch nicht besetzte Dienststelle des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)
in der DDR, das seit dem 17. November 1989 unter neuem Namen – Amt für
Nationale Sicherheit (AfNS) – weiterarbeitete. Sie wollten die
Stasi-Mitarbeiter/-innen daran hindern, weitere Akten zu vernichten und
diese zugleich für die gesellschaftliche Nutzung öffnen.
Im Zuge der Einigungsverhandlungen wurde die Zukunft der Akten erneut zum Thema. DDR-Bürgerrechtler/-innen besetzten im September 1990 das Stasi-Archiv.
Der öffentliche Druck auf die Volkskammer und die
DDR-Vertragsunterhändler führte dazu, dass eine Regelung für den
künftigen Umgang mit den Stasi-Unterlagen per Zusatzvereinbarung in den
Einigungsvertrag einfloss.
Am 3. Oktober desselben Jahres, dem Tag der Wiedervereinigung,
wurde Joachim Gauck zum "Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die
personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes"
ernannt. Der Rostocker Pfarrer und Abgeordnete der Volkskammer begann
seine Arbeit mit 52 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Am 29. Dezember 1991 trat das Stasi-Unterlagen-Gesetz
in Kraft, das seitdem den Zugang zu den Unterlagen und deren Verwendung
etwa für die persönliche Einsichtnahme, Fragen der Wiedergutmachung und
Rehabilitierung, die Überprüfung von Abgeordneten und Beschäftigten der
öffentlichen Verwaltung auf frühere Stasi-Tätigkeit, die Verfolgung von
Straftaten sowie die Einsichtnahme von Forschung und Medien regelt. Aus
dem "Sonderbeauftragten" Gauck wurde der erste Bundesbeauftragte, und
am 2. Januar 1992 konnten die ersten Betroffenen Einblick in ihre Akte
nehmen.
In der sogenannten "Gauck-Behörde" mit den damals noch 13
Außenstellen in den neuen Ländern stieg die Zahl der Mitarbeiter/-innen
aufgrund der starken Akten-Nachfrage bis Mitte der 1990er Jahre auf fast
3.200. Im Oktober 2000 übernahm die frühere DDR-Bürgerrechtlerin
Marianne Birthler das Amt. Auf sie folgte im März 2011 als dritter
Behördenchef der ehemalige DDR-Oppositionelle Roland Jahn.
Im Laufe von fast 30 Jahren haben die Behördenmitarbeiter/-innen eine Großteil der 111 Aktenkilometer, 1,8 Millionen Fotodokumente, knapp 2.900 Filme und
Videos sowie über 23.000 Tondokumente archiviert und inventarisiert.
Mehr als 15.000 Säcke von der Staatssicherheit zerrissener Akten warten
noch auf ihre manuelle oder zukünftig virtuelle Rekonstruktion.
Allein im ersten Jahr, 1992, stellten mehr als eine halbe
Million Menschen den Antrag auf persönliche Akteneinsicht. Über drei
Millionen Antragsteller/-innen haben bisher in der Berliner Zentrale
oder in den derzeit zwölf Außenstellen, den ehemaligen
MfS-Bezirksverwaltungen, ihre Akten eingesehen – darunter etliche, die
im Westen von der Stasi verfolgt wurden. Rund 35.000
Wissenschaftler/-innen und Journalisten/-innen haben in den Unterlagen
recherchiert.
Außerdem wurden in mehr als 1,7 Millionen Ersuchen Akten
angefordert, um Politiker/-innen und Angestellte des öffentlichen
Dienstes zu überprüfen. In mehr als einer halben Million Fälle wurden
Möglichkeiten der Rehabilitierung, Entschädigung oder Strafverfolgung
untersucht.
Akteneinsicht ist nach wie vor ein Thema: Im Jahr 2018 wollten
mehr als 46.000 Betroffene ihre persönliche Akte zum ersten oder
wiederholten Male einsehen. Zwei Drittel davon wandten sich an eine der
Außenstellen, wo mit 68 Kilometer Akten der größte Teil der
Stasi-Hinterlassenschaft lagert.
Am 26. September 2019 hat der Bundestag entschieden, dass die Stasi-Akten in das Bundesarchiv
überführt und gemeinsam mit weiteren DDR-Akten in einem "Archivzentrum
zur SED-Diktatur" auf dem Gelände der früheren Stasi-Zentrale
untergebracht werden sollen. Behördenchef Roland Jahn und der Direktor
des Bundesarchivs, Michael Hollmann, müssen jeweils zum Jahresende 2019
und 2020 Planungen zum Platz- und Investitionsbedarf vorlegen. Bis
Sommer 2021, wenn Roland Jahns zweite Amtszeit endet, sollen die Akten
ins Bundesarchiv integriert sein.
Zugleich wird die Zahl der regionalen Archivstandorte auf fünf –
eines pro Bundesland – reduziert. Die anderen Außenstellen sollen laut
Bundestagsbeschluss weiterhin informieren und beraten sowie Anträge auf
Akteneinsicht entgegennehmen.
Bereits im Jahr 2014 hatte der Bundestag eine Unabhängige
Expertenkommission eingesetzt, um Vorschläge zur Zukunft der Behörde zu
erarbeiten. Das zwei Jahre später vorgelegte Konzept war jedoch so
umstritten, dass der Bundestag eine Entscheidung vertagte und
stattdessen Roland Jahn und Michael Hollmann damit beauftragte, neue
Ideen zur Fusionierung zu erarbeiten. Im März 2019 legten die beiden
Behördenleiter den Parlamentariern ihren Plan vor, die Stasi-Akten als
eigenständigen, nach außen erkennbaren Bestand ins Bundesarchiv zu
integrieren. Die Dokumente der DDR-Geheimpolizei unterliegen weiterhin
dem Stasi-Unterlagen-Gesetz, das noch verändert werden muss.
Bereits in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 2008 war die Behörde als "zeitlich begrenzt" konzipiert gewesen.
Die Befürworter der Bundestags-Entscheidung betonen, dass die
Stasi-Akten derzeit weder in der Zentrale noch in den Außenstellen
sachgemäß gelagert seien. Im Zuge ihrer Überführung ins Bundesarchiv und
des geplanten Archivneubaus auf dem Stasi-Gelände würde sich dies
ändern. Außer klimatisierten Räumen sollen hier technisch gut
ausgestattete Restaurierungs- und Digitalisierungwerkstätten entstehen,
in denen außerdem auf die Kompetenzen des Bundesarchivs zurückgegriffen
werden könne. Eines Tages könnten die Akten, so die Befürworter, infolge
der Digitalisierung ortsunabhängig genutzt werden.
Dass mit der Integration in das Bundesarchiv die Existenz des
BStU als eigenständige Behörde endet und der Bundestag diesem Vorschlag
zugestimmt hat, stößt aber auch auf Kritik. Frühere DDR-Bürgerrechtler
betonen, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde mehr ist als ein Archiv. Sie
befürchten, das letzte bundesweit sichtbare Denkmal der friedlichen
Revolution zu verlieren. Der Aktenzugang in der Behörde hat ihrer
Ansicht nach bislang nicht nur die Freiheit von Bespitzelung
symbolisiert, sondern auch das Recht auf Rehabilitierung von DDR-Unrecht
sowie die Möglichkeit, frühere Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Außerdem wird befürchtet, dass eine in anderen
post-diktatorischen Gesellschaften hoch angesehene Institution im Umgang
mit den Akten einer die Diktatur stützenden Geheimpolizei verloren
geht. Das Bundesarchiv sei anders als die Stasi-Unterlagen-Behörde eine
passive Behörde. Es verwalte Akten, leiste aber keine
politisch-historische Bildungsarbeit.
Dagegen betont der Bundesbeauftragte Roland Jahn, dass der
Symbolwert der Stasi-Unterlagen erhalten bleibe. Diese sollten deshalb
in den Regionen bleiben – und nicht, wie manche befürchten, in der
Berliner Zentrale konzentriert werden. Der Bundesbeauftragte möchte
allerdings den Dienstleistungscharakter des künftigen
"Stasi-Unterlagen-Archivs" für die externe Forschung, für Bildung und
Medien stärken, nach Sachthemen erschließen und den Blick vom MfS auf
andere Verantwortungsträger in der DDR weiten.
Die beiden großen Aufgaben der Behörde – die persönliche
Akteneinsicht und die jüngst bis 2030 verlängerte Überprüfbarkeit auf
Stasi-Mitarbeit – seien zahlenmäßig von einem eigenständig geleiteten
Stasi-Archiv unter dem Dach des Bundesarchivs zu bewältigen, heißt es
bei den Befürwortern. Skeptiker befürchten, dass mit einer Abwicklung
der Behörde als eigenständiger Institution nicht nur deren symbolische
Bedeutung, sondern auch die politisch-historische Bildungsarbeit
verschwindet.
via https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/300458/stasi-unterlagen-behoerde
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