Ein warmer Sonntag im Juli oder August 1951. In Ahrenshoop, dem Fischerdorf auf dem Darß, tummeln sich die Erholungssuchenden und genießen das Zusammenspiel von Bade- und Kulturfreuden. Ende des 19. Jahrhunderts bereits hatte sich hier um Paul Müller-Kaempff, Elisabeth von Eicken und Fritz Grebe eine Künstlerkolonie gebildet, und gleich nach dem Zweiten Weltkrieg schickte man sich an, diesen Ruf fortzuführen und „im schönsten Land der Welt“ (Uwe Johnson) ein „Bad der Intelligenz“ zu etablieren.
Maßgeblichen Anteil daran hatte der 1945 aus dem Moskauer Exil heimgekehrte Johannes R. Becher. Als Präsident des kurz darauf gegründeten Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands machte er sich daran, Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler an die Ostsee zu locken. Ein „Intelligenz-Sammelpunkt“ mit weiter Ausstrahlung sollte sich auf diese Weise bilden.
Becher selbst fand früh Wohlgefallen an Ahrenshoop, spielte mit dem Gedanken, ein Anwesen, das heutige Dünenhaus, zu erwerben, und hoffte auf Inspiration für sein eigenes Schaffen. 1950 jedoch musste er seine Sommerfrische jählings abbrechen. Eine Sommerliebschaft drohte seine Ehe zu gefährden, es kam zu offenem Zwist am Urlaubsort, und von da an reiste er immer seltener nach Ahrenshoop.
Binnen weniger Sekunden verdüsterte sich seine Stimmung. Becher galt als erklärter Gegner der Freikörperkultur, die in der ostdeutschen Bevölkerung keineswegs, wie heute oft behauptet, von Anfang an leidenschaftlich praktiziert wurde, empörte sich beim Anblick provokativ zur Schau gestellter „deformierter Körper“ und wollte das allein „im Interesse der Ästhetik“ nicht dulden.
Und was kommt ihm da, am Strand Richtung Wustrow, unter die Augen? Eine splitternackte Frau um die fünfzig gibt sich hemmungslos der Sonne hin, lediglich ihr Antlitz schützt sie vor der Hitze mit einer Zeitung, genauer: mit einem Exemplar des „Neuen Deutschland“.
Allein das wäre schon eine feine Geschichte, doch sie erfährt eine zusätzliche Pointe, als Anna Seghers wenige Wochen später in der Deutschen Staatsoper zu Berlin der Nationalpreis erster Klasse der DDR verliehen wird. Überreicht wird ihr die Auszeichnung vom späteren Kulturminister Becher, der mit einem zarten „Meine liebe Anna ...“ ansetzt.
via https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article203105918/Achtionszenen-der-Weltliteratur-Johannes-R-Becher-und-Anna-Seghers.html
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