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Freitag, 10. August 2018

Praktikum in der Archivwirtschaft: Juten Tach, ick hab da mal ne Fraje … / K. Rix

Gemeinhin stellt man sich unter einem Archiv dunkle, verwinkelte Kellerräume vor, deren vom Staub der Jahrhunderte geschwängerte Luft sich muffig und schwer auf die Lunge legt. Das Personal entspringt in vielen Köpfen eher einem wilhelminischen Herrschaftshaus: die Archivarin eine verhärmte Dame älteren Semesters mit strenger Frisur und stechendem Blick, der Archivar vom Typ mürrisch-zerstreuter Professor mit Kneifer und Pfeife. Ein wenig einladendes Bild, welches sich seit Generationen erstaunlich hartnäckig hält.
Mein Praktikum im Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsarchiv gestattete mir sowohl einen Blick auf das antiquierte Bild vergangener Zeiten als auch neuzeitlicher Archivwirtschaft. Hier vereint sich Sammelleidenschaft mit Bürokratie, Nostalgie mit moderner Informationsdienstleistung. Die Archivarin ist weder verhärmt noch streng frisiert – sie lacht viel und gerne, heißt Besucher herzlich willkommen und gerät ganz nach historischem Vorbild ins Schwelgen, wenn es um “ihre” Bestände geht. Strenge Blicke bekommt hier nur, wer die Archivalien nicht pfleglich behandelt. Auch der Leiter, heutzutage “Geschäftsführer” genannt, seines Zeichens Historiker, trägt weder Kneifer noch erkaltete Pfeife – dafür meist ein freundliches, beinahe amüsiertes Lächeln.

Eine angenehme Atmosphäre zwischen Büchern, Regalen voller Archivschachteln und Stapeln für Nutzer ausgehobenen Archivguts. Dem Wissen, dass sich hinter jeder Ecke, in jedem Winkel noch ein Kleinstbestand finden lässt, der nur darauf wartet wiederentdeckt zu werden. Und irgendwie hat hier jeder einen Liebling unter den Beständen – eine Sammlung, einen Vor- oder Nachlass, der einem besonders am Herzen liegt. Ich habe mich in den vergangenen Monaten durch Papiere, Fotos, Zeichnungen, Akten, Grußkarten, Reklamemarken, Briefköpfe, Grundrisse, Mappen, Ordner, Schachteln und Kisten gewühlt. Habe verzeichnet, erschlossen, gelocht, entmetallisiert, entfaltet, entrollt, eingeheftet und neu verpackt. Datenbanken gefüttert und überarbeitet. Kisten entleert, aufgefaltet, umgestapelt, zugefaltet, neu gefüllt und wieder gestapelt. Regale umgeordnet, ausgeräumt und wieder gefüllt. Jeder leere Regalboden, jeder verfügbare Laufmeter eine Errungenschaft – neue (Zwischen)Heimat für ein Stück regionaler Unternehmensgeschichte.

Und zwischendurch telefonische Anfragen nach Lehrzeitbestätigungen, Kindheitserinnerungen, Archivbesichtigungen, Unternehmensbeständen:

“Guten Tag. Ich habe 1978 eine Lehre angefangen, aber nach drei Monaten abgebrochen. Nun finde ich den Vertrag nicht mehr. Können Sie mir eine Kopie schicken?”, “Juten Tach. Mein Großvater hatte so’n kleenen Lebensmittelladen, ick weeß aber die Straße nich mehr. Können Sie nich ma nachsehen?”, “Hallo. Mein Cousin hat damals in Berlin seine Ausbildung gemacht und nun will er Rente beantragen. Ich brauche die Ausbildungsbescheinigung aber schnell – wir haben den Termin übermorgen.”, “Guten Morgen. Ja, also, mein Vater, der hat Geburtstag und da möchte ich ihm was schenken. Der hat ja nu damals seine Ausbildung bei einer Baufirma gemacht. Und nach der Prüfung da hat er sein Zeugnis ja nicht abgeholt, wissen Sie? Und das wollte ich ihm jetzt schenken. Kann ich denn mal bei Ihnen vorbeikommen und es jetzt für ihn mitnehmen?”.

So vielfältig wie die Anfragen sind auch die Bestände, Langeweile kam hier nicht auf. Und wenn beim nächsten Klingeln des Telefons die Worte “Juten Tach, ick hab da mal ‘ne Fraje…” fallen, ist vielleicht das benötigte Stück Vergangenheit im Jetzt und Hier greifbarer. Ein gutes Gefühl, daran teilgehabt zu haben.

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