Follower

Montag, 2. März 2020

Vatikan öffnet geheime Archive zum Zweiten Weltkrieg / ZEIT ONLINE 04.03.2020

Papst Franziskus lässt das Geheimarchiv des Vatikans zum umstrittenen Pontifikat von Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs öffnen. Während einer Audienz für Mitarbeiter des Archivs kündigte der Papst diesen Schritt selbst an. Demnach sollen die Akten und Dokumente, wie etwa die Briefe seines Vorvorgängers, ab dem 2. März 2020 für Forscherinnen und Forscher zugänglich sein.
Gefordert wurde dies in der Wissenschaft und innerhalb der jüdischen Gemeinde schon lange. Die Experten – und auch viele Holocaustüberlebende – interessiert vor allem, warum sich Pius XII. (1939–1958) nicht vehementer gegen die Nationalsozialisten und deren Verbrechen an den Juden gewandt hatte. 
Konkret werfen sie ihm vor, zum Massenmord geschwiegen anstatt beispielsweise Soldaten und Amtsträger katholischen Glaubens zur Befehlsverweigerung aufgerufen zu haben. Auch seine vermeintliche Gleichgültigkeit gegenüber der Räumung des jüdischen Ghettos in Rom und der Deportation der Bewohnerinnen und Bewohner nach Auschwitz im Herbst 1943 können ihm viele nicht verzeihen.
Papst Pius XII. 1939 während eines Besuchs in Berlin © Hulton Archive/​Getty Images
Dabei war die katholische Kirche noch in den letzten Jahren der Weimarer Republik eine entschiedene Kritikerin des Nationalsozialismus. Adolf Hitler wollte daher mit einem Reichskonkordat ihre einflussreiche Stellung schwächen. Der Vatikan wiederum erhoffte sich von dem 1933 vereinbarten Konkordat – damals war der spätere Papst Pius noch Kardinalstaatssekretär und damit oberster Diplomat des Vatikans – einen gewissen Schutz der katholischen Kirche vor der Gleichschaltung. Doch das NS-Regime hielt sich nicht an die Zusicherungen. Das päpstliche Rundschreiben Mit brennender Sorge vom März 1937 – damals war noch Pius XI. im Amt – verurteilte die Vertragsbrüche und distanzierte sich von der nationalsozialistischen Ideologie. Die zunehmende Diffamierung der Juden wurde darin allerdings nicht konkret genannt.
Papst Franziskus erhofft sich nun eine "seriöse und objektive historische Forschung" zu dieser Zeit und eine Würdigung der seelsorglichen, theologischen und diplomatischen Qualitäten seines Vorvorgängers. "Die Kirche hat keine Angst vor der Geschichte", sagte er und beschrieb Pius XII. als einen Pontifex, der die katholische Kirche "zu einem der traurigsten und dunkelsten Momente des 20. Jahrhunderts" angeführt habe. Dessen Entscheidungen könnten durch "einige als Zurückhaltung" gedeutet werden. Allerdings habe er vielmehr versucht, "die kleine Flamme der humanitären Initiativen, der versteckten, aber aktiven Diplomatie" am Brennen zu halten.  
Anlass für Franziskus' Ankündigung ist der 80. Jahrestag der Wahl des Italieners Eugenio Pacelli zum Papst am 2. März 1939. Zudem läuft seit Längerem ein Verfahren zu seiner Seligsprechung. Bereits 2009 wurde als eine Vorstufe dazu der sogenannte heroische Tugendgrad von Pius XII. festgestellt.
Normalerweise öffnet der Vatikan Geheimakten 70 Jahre nach dem Ende eines Pontifikats. Im Fall von Pius XII. forderten jüdische Gruppen aber, die Akten herauszugeben, solange Holocaustüberlebende noch am Leben sind. Die Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem begrüßte denn auch die Ankündigung von Franziskus. Das Material werde eine "objektive und offene Forschung" zum "Verhalten des Vatikans im Besonderen und der katholischen Kirche im Allgemeinen während des Holocaust" ermöglichen. 

via https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-03/katholische-kirche-papst-franziskus-geheime-archive-zweiter-weltkrieg

Keine Kommentare: