Papst Franziskus lässt das
Geheimarchiv des Vatikans zum umstrittenen Pontifikat von Pius XII.
während des Zweiten Weltkriegs öffnen. Während einer Audienz für
Mitarbeiter des Archivs kündigte der Papst diesen Schritt selbst an.
Demnach sollen die Akten und Dokumente, wie etwa die Briefe seines
Vorvorgängers, ab dem 2. März 2020 für Forscherinnen und Forscher
zugänglich sein.
Gefordert wurde dies in
der Wissenschaft und innerhalb der jüdischen Gemeinde schon lange. Die
Experten – und auch viele Holocaustüberlebende – interessiert vor allem,
warum sich Pius XII. (1939–1958) nicht vehementer gegen die
Nationalsozialisten und deren Verbrechen an den Juden gewandt hatte.
Konkret werfen sie ihm vor, zum
Massenmord geschwiegen anstatt beispielsweise Soldaten und Amtsträger
katholischen Glaubens zur Befehlsverweigerung aufgerufen zu haben. Auch
seine vermeintliche Gleichgültigkeit gegenüber der Räumung des jüdischen
Ghettos in Rom und der Deportation der Bewohnerinnen und Bewohner nach
Auschwitz im Herbst 1943 können ihm viele nicht verzeihen.
Dabei war die katholische
Kirche noch in den letzten Jahren der Weimarer Republik eine
entschiedene Kritikerin des Nationalsozialismus. Adolf Hitler wollte
daher mit einem Reichskonkordat ihre einflussreiche Stellung schwächen.
Der Vatikan wiederum erhoffte sich von dem 1933 vereinbarten Konkordat –
damals war der spätere Papst Pius noch Kardinalstaatssekretär und damit
oberster Diplomat des Vatikans – einen gewissen Schutz der katholischen
Kirche vor der Gleichschaltung. Doch das NS-Regime hielt sich nicht an
die Zusicherungen. Das päpstliche Rundschreiben Mit brennender Sorge
vom März 1937 – damals war noch Pius XI. im Amt – verurteilte die
Vertragsbrüche und distanzierte sich von der nationalsozialistischen
Ideologie. Die zunehmende Diffamierung der Juden wurde darin allerdings
nicht konkret genannt.Papst Franziskus erhofft sich nun eine "seriöse und objektive historische Forschung" zu dieser Zeit und eine Würdigung der seelsorglichen, theologischen und diplomatischen Qualitäten seines Vorvorgängers. "Die Kirche hat keine Angst vor der Geschichte", sagte er und beschrieb Pius XII. als einen Pontifex, der die katholische Kirche "zu einem der traurigsten und dunkelsten Momente des 20. Jahrhunderts" angeführt habe. Dessen Entscheidungen könnten durch "einige als Zurückhaltung" gedeutet werden. Allerdings habe er vielmehr versucht, "die kleine Flamme der humanitären Initiativen, der versteckten, aber aktiven Diplomatie" am Brennen zu halten.
Anlass für Franziskus' Ankündigung ist der 80. Jahrestag der Wahl des Italieners
Eugenio Pacelli zum Papst am 2. März 1939. Zudem läuft seit Längerem
ein Verfahren zu seiner Seligsprechung. Bereits 2009 wurde als eine
Vorstufe dazu der sogenannte heroische Tugendgrad von Pius XII.
festgestellt.
Normalerweise öffnet
der Vatikan Geheimakten 70 Jahre nach dem Ende eines Pontifikats. Im
Fall von Pius XII. forderten jüdische Gruppen aber, die Akten
herauszugeben, solange Holocaustüberlebende noch am Leben sind. Die
Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem begrüßte denn auch die
Ankündigung von Franziskus. Das Material werde eine "objektive und
offene Forschung" zum "Verhalten des Vatikans im Besonderen und der
katholischen Kirche im Allgemeinen während des Holocaust" ermöglichen.
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