Am 25. Oktober 1916 beginnt
Unteroffizier John Ronald Reuel Tolkien zu fiebern. Schweissperlen
laufen ihm über das vom Matsch der nordfranzösischen Kampfzone
verdreckte Gesicht, während ein Frontsanitäter fast 40 Grad
Körpertemperatur misst. Seit Wochen eilt das 11. Regiment der
Lancashire-Füsiliere nun von Schlacht zu Schlacht durchs Tal der Somme.
Eine dunkle Welt voller fabelhafter Wesen flimmert vor Tolkiens Augen,
während der Kommandant seinem Rücksendungsgesuch stattgibt.
Als
am Morgen des 28. Oktober sein langer Transport nach Hause beginnt,
webt der junge Mann im Halbdunkel die ersten Fäden jener mythologischen
Welt «Mittelerde» zusammen, die ihn sein Leben lang begleiten wird. Noch
auf dem Weg ins Lazarett verfasst er mit dem «Fall von Gondolin» seine
erste Erzählung. Es ist ein Krieg, der Tolkien einen grossen Teil seiner
Jugendfreunde rauben wird. Doch es ist auch der Krieg, aus dem die
Moderne entspringt – und Tolkien ist es, der die Magie vergangener Tage
in sie hinüberrettet.
Etwas scheu, als wäre
sie von ihrem selbstgeschaffenen Tolkien-Universum beinahe überwältigt,
läuft Catherine McIlwaine durch die Ausstellungssäle der Oxforder
Bodleian Library. Über fünf Jahre hat die Tolkien-Archivarin der
Universität an der Sammlung gearbeitet, über die Rückführung von
Manuskripten aus amerikanischen Universitäten verhandelt und das schier
unendliche Archivmaterial aufbereitet. «Seit 1992 hat es in England
keine Ausstellung mehr zu Tolkien gegeben, eine solche auf dem neusten
Stand der Forschung war längst überfällig», meint sie. Es ist die bisher
umfassendste geworden.
Wer
die verwinkelte Ausstellung betritt, wähnt sich in ein futuristisches
Mittelerde versetzt. Hightech-Bildschirme vermitteln die altertümliche
Magie von Tolkiens Zeichnungen. Hinter Glas liegt ein aufgeschlagenes
Büchlein mit zwei Aquarellen. Es ist ein Exponat aus Tolkiens frühen
Jahren in Oxford, das «Book of Ishness» (Buch der Haftigkeiten). Die
kleinen Bilder auf den gegenüberliegenden Buchseiten tragen die Titel undertenishness (Unterzehnhaftigkeit) und grownupishness (Erwachsenhaftigkeit). Während die undertenishness mit einer bunten Heidelandschaft unter roten Bäumen symbolisiert wird, zeigt die grownupishness einen Akademiker, der im Stress seiner Verpflichtungen unterzugehen scheint. ... [mehr] https://www.nzz.ch/feuilleton/die-hobbits-stiegen-aus-den-schuetzengraeben-oxford-erinnert-an-j-r-r-tolkien-und-sein-werk-ld.1409495
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