Man hatte zu spät reagiert, Warnungen in den Wind geschlagen, Einzelfälle ignoriert, den Ernst der Lage nicht erkannt – und dann war sie da, die Katastrophe, die Pest in Wien 1679. Die rasante Ausbreitung, Tausende Erkrankte und Tote überforderten das Gesundheitssystem, die Verwaltung brach zusammen, Schulen, die Universität, Gerichte usw. wurden geschlossen, Wien und Niederösterreich wurden zur Krisenregion.
So schnell es ging verließ Abt Edmund Lueger (1676–1679) zusammen mit den Studenten des Klosters Wien und machte sich auf den Weg nach Melk. Stark frequentierte Hauptverkehrswege umging die Gruppe dabei bewusst, um den Kontakt mit möglicherweise Infizierten zu vermeiden. Kein Wunder, denn Flucht und Absperrung, so heißt es in der Geschichte des Benedictiner-Stiftes Melk in Nieder-Oesterreich von P. Ignaz Keiblinger (Band 1 [1851], S. 908), wären die einzigen Mittel gewesen, die vor einer Ansteckung schützen konnten. Die Mönchsgemeinschaft zog sich ins Kloster zurück und verschloss die Tore, auch der Markt Melk riegelte sich nach außen hin ab. Das Schloss Sooß diente jenen Patres und ihren Begleitern als Quarantäne-Station, die in den unterschiedlichsten Gegenden bei der Weinlese gearbeitet hatten und es nicht mehr rechtzeitig vor dem großen Shutdown nach Melk zurück geschafft hatten.
Durch Beobachtungen und Analysen der seit dem 14. Jahrhundert immer wieder auftretenden Pest in Europa waren laufend Richtlinien entwickelt worden, was beim Ausbruch von Epidemien zu tun sei. Schon früh sind Strategien zum Eindämmen von Neuinfektionen belegt, die aus heutiger Sicht sehr gegenwärtig klingen: Kontakt mit Erkrankten meiden, Infektionsfälle melden, Verbot von Menschenansammlungen etc. Der Maßnahmenkatalog in der 1653 erlassenen „Infektionsordnung“ Kaiser Ferdinands III. sah für den Katastrophenfall strenge Grenz- und Personenkotrollen vor. Einreisende mussten nachweisen können, sich während der vergangenen vierzig Tage in einem seuchenfreien Gebiet aufgehalten zu haben oder aber sich in Quarantäne begeben. Die Namen betroffener Orte und Gegenden wurden öffentlich gemacht, ganze Ortschaften isoliert. Der Warenverkehr wurde stark eingeschränkt, Reiseverbote verhängt. Punkto Hygiene und Sauberkeit gab es umfassende Verhaltensanweisungen, deren Missachtung streng sanktioniert wurde.
Die Melker Patres in ihrer klösterlichen Quarantäne 1679 hielten sich konsequent an den alten Grundsatz Mox, longe, tarde, schreibt Keiblinger und zitiert damit die Kurzversion eines Merksatzes zum Verhalten in Pestzeiten, der auf Arnaldus de Villanova (1235–1311) zurückgehen soll.
Mox fuge, longe recede, tarde redi – fliehe bald, bleibe lange fern, kehre langsam zurück, diese mittelalterliche „Epidemie-Faustregel“ erinnert dabei verblüffend an die aktuelle Corona-Devise: Abstand halten, daheim bleiben (dem Risiko fern bleiben), durchhalten (die Vorsichtsmaßnahmen nicht vorschnell abbrechen und zum Alltag zurückkehren).
Es war nicht nur das strikte Einhalten von Mox, longe, tarde, das den Melker Konvent durch den Krisenalltag 1679 begleitete. Im Mittelpunkt des Klosterlebens hinter verschlossenen Türen stand das gemeinsame Gebet, das in dieser besonderen Situation um tägliche Betstunden für ein rasches, gutes Ende der Epidemie „aufgestockt“ wurde, wie die Stiftsgeschichte berichtet.
(Quelle: Newsletter der Stiftsbibliothek Melk vom 3.4.2020/Bernadette Kalteis)
via https://www.univie.ac.at/voeb/blog/?p=51284
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