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Dienstag, 11. Februar 2020

Stank die Kunst- und Wunderkammer? / Sarah Dolde LMW-Blog

Ein „pfeiferauchender Bauer mit heruntergelassener Hose“ als Wahrzeichen der herzöglichen Kunstkammer? Als solches ließ Herzog Eberhard III. die Bronzefigur tatsächlich in seine Kunstkammer stellen. So heißt es in einer Notiz des Kammerschreibers Johann Mayer aus dem Jahr 1669: „Es ließen auch Ihre fürstl[iche] Dhl. [Durchlaucht] ein von Metall gegoßen bäurlin, so ein Tabak trinker, und Zumahl seine Notturft verricht, in die Kunst Kammer herunter stellen, mit befehl daß solches hinfüro daß Wort zeichen sein soll.“

Neben der hier beschriebenen Funktion als Wahrzeichen vertritt das kleine Männchen auch als Symbol den Geruchssinn. Unterschiedliche Objekte zu allen fünf menschlichen Sinnen gehörten zum festen Programm einer jeden Kunstkammer. Denkt man diese beiden Aspekte zusammen, stellt sich also die Frage, ob die Geste des Herzogs, die Statuette in seine Kunstkammer zu geben, auch als Kommentar zum Gestank in der Kunstkammer zu verstehen ist?

Pfeife rauchender Bauer mit heruntergelassener Hose


 Was sehen wir und was sehen wir nicht?


Von vorne ist zunächst nur eine hockende männliche Figur mit derben und markanten Gesichtszügen zu sehen. Erst wenn wir das Figürchen im Profil betrachten, zeigt sich die heruntergelassene Hose und sein nacktes Gesäß. Nicht zu sehen ist: Die Pfeife, denn diese fehlt in der Hand des Bauern. Aus einem Inventar von 1708 wissen wir jedoch, dass es sich um eine silberne Pfeife gehandelt haben muss. Zudem sind der runde Untersatz (Plinthe) und Figur separat gegossen und durch Röhren miteinander verbunden. In das Innere des Sockels lässt sich eine brennende Räucherkerze hineinstellen. So kann aus der Pfeife, dem rechten Mundwinkel, den Ohren und aus dem Anus der Rauch der Räucherkerze entweichen.

Was erzählen Zeitzeugen und eine Abbildung über die Kunstkammer?


Im Bericht zur Stuttgarter Kunstkammer von Philipp Hainhofer (1578-1647) aus dem Jahr 1616 wird vor allem das wiederholte Staunen über das Öffnen von Türen und der Enthüllung einzelner Objekte aus aufwendigen und wertvollen Futteralen beschrieben. Auf den Geruch wird im Bericht nicht eingegangen.
Aus der Zeit Herzog Eberhards liegt des Weiteren eine Abbildung der Kunstkammer im Alten Lusthaus vor. Zu sehen ist ein großer Raum, in dessen Mitte der Musiktisch steht und an dessen Wänden Schränke aufgestellt sind, in denen die Kunstkammerobjekte untergebracht waren. Über den Geruch gibt jedoch auch diese Abbildung keinen Aufschluss.
Ein Vermerk aus dem Inventar des Jahres 1642 zu den Kunstkammer-Objekten im Alten Lusthaus verzeichnet folgende Naturalien: „Ein Kopff von einem MeerRoß, ein ausgefüllter Krokodil, ein ausgefüllter Meerhundt, eine grosse Schildkrott…“ Aus weiteren Inventaren geht hervor, dass sich in der Kunstkammer von Herzog Eberhard III. folgende Objekte befanden: „Vier Riemen aus Menschenhaut, zwölf Harn- oder Galensteine, die aus Menschen herausgeschnitten wurden; drei große Stücke von Riesenknochen, ein selzames, alltes Bein, zwei sehr kleine Krokodile, ein Gürteltier, ein zweites kleineres Gürteltier, ein Chamäleon, der Kopf eines Panthers, welcher noch geronnes Blut enthält, eine Rute, die aus einem Elefantenrüssel hergestellt war, ein missgewachsenes Bein von einer Gemse, zwei sehr krumme Beine eines Wilds, eine braune, gegerbte Haut von einem exotischen Tier.“ Im Verzeichnis der Naturalien wird folgendes aufgezählt: „Menschliche Überreste, Harnsteine, Präparate von Landtieren, Präparate von Fledermäusen, Vögeln, Fischen, Krustentieren, Meeressäuger, Reptilien und Amphibien, Muscheln und Meeresschnecken…“
Die titelgebende Frage lässt sich definitiv mit Ja beantworten. All die in den Inventaren aufgelisteten Objekte müssen Gerüche abgesondert und den Geruchssinn der damaligen Kunstkammerbesucher*innen wachgerufen haben. Diese These lässt sich zwar nicht durch zeitgenössische Berichte, Abbildungen oder Inventare direkt bestätigen, kann aber aus dem Wissen über die damalige Existenz der Objekte sowie unseren Kenntnisse über die Konservierungstechniken im 17. Jahrhundert  abgeleitet werden.
Zu jener Zeit existierten keine Konservierungsmittel wie Arsenseife, Formaldehyd oder das Verfahren der Plastination. Die Arsenseife wurde erst 1820 erfunden, das Formaldehyd, auch bekannt als Formalin, wurde erst 1855 entdeckt. Das Verfahren der Plastination ist heute vor allem bekannt durch die Wanderausstellung „Körperwelten“ von Gunter van Hagen, 1978 erhielt dieser ein Patent für diese Konservierungstechnik.
In der Frühen Neuzeit gab es für organische Materialien (Naturalia) hingegen die folgenden fünf Verfahren zur Konservierung: Räuchern, Lufttrocknen, Salzen, Gerben und Ausstopfen der Präparate mit Flachs. Diese Verfahren entzogen den Materialien Wasser. Bei hohen Temperaturen und damit steigender Luftfeuchtigkeit müssen so behandelte Objekte wie Tiere oder Menschenhaut trotzdem gestunken haben.
Der Pfeife rauchende Bauer mit seinem nackten Gesäß ist somit nicht nur ein Kommentar zur Schaulust der Betrachter*innen, sondern zeugt auch von dem Gestank der Stuttgarter Kunstkammer im 17. Jahrhundert.

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