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Freitag, 21. Februar 2020

Boris Johnson droht der BBC. Ziel ist die Schwächung des kritischen Journalismus / Aaron Burnett. IPG 21.02.2020

In einer berühmt gewordenen Szene floh Boris Johnson im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen 2019 vor einem Live-Fernsehinterview in ein Kühlhaus. Als er als sich seit dreißig Jahren als erster und bislang einziger Chef einer größeren britischen Partei entschied, dem erfahrenen BBC-Moderator Andrew Neil kein Wahlinterview zu geben, sah sich dieser, ebenfalls beispiellos, veranlasst, den Premierminister auf Sendung zu rügen.
Nachdem Johnson mit neuem Mandat gewählt wurde, planen seine Berater nun, den Rundfunkbeitrag, den Fernsehbesitzer für die BBC entrichten, abzuschaffen, wenn der Rundfunkvertrag 2027 zur Verlängerung ansteht. Bis dahin erwägt die Regierung, die Zahlungsverweigerung zu entkriminalisieren, sodass die BBC keine Möglichkeit mehr hat, das Geld von Nicht-Zahlern einzufordern. Wenn der Rundfunkbeitrag, der pro Haushalt und Jahr etwa 185 Euro beträgt, abgeschafft wird, könnte die BBC Schätzungen zufolge bis zu 75 Prozent ihrer Einnahmen einbüßen. Wem das bekannt vorkommt: Die AfD schlägt für Deutschland seit Jahren Ähnliches vor.
Verfechter der Medienfreiheit sowie progressive und liberale Demokraten rund um den Erdball müssen nicht mehr in Orbáns Ungarn und ähnlichen Ländern nach einer Gleichschaltung der Medien Ausschau halten. Die Anfänge können nun auch in einer betagteren europäischen Demokratie begutachtet werden: in Großbritannien. Ähnlich wie die in Ungarn herrschende Fidesz oder die AfD in Deutschland hat Johnsons Konservative Partei ein ausgeklügeltes Verfahren eingeleitet, um die Medienlandschaft Großbritanniens zu verändern. Das Ziel ist die Schwächung des kritischen Journalismus.
Wie Johnsons aktuelles Kabinett fordert auch die AfD die Abschaffung der Rundfunkgebühren, die in Deutschland jeder Haushalt zahlt, und spricht von einem „Konzept für eine freie und unabhängige Medienlandschaft“. Die AfD-Bundestagsfraktion lud gar zu einer „Konferenz der freien Medien“ ein, zu deren Gästen die Stars der ultrarechten Blogger- und YouTube-Szene gehörten. Einige Teilnehmer regten an, die AfD-Bundestagsabgeordneten sollten Beiträge aus Mainstream-Medien – „der Systempresse“ – in den sozialen Netzwerken nicht mehr teilen, sondern nur noch auf Beiträge ihrer „freien Medien“ verweisen. Der AfD-Parlamentarier und Konferenzleiter Uwe Schulz bezeichnete die versammelten „freien Medien“ als unabhängig von politischer Ideologie und deutete im Umkehrschluss an, die deutsche „Systempresse“ berichte einseitig.
Auch Johnsons Torys werfen der BBC seit einigen Jahren politische Einseitigkeit vor. Im Rennen um die Parteiführung 2019 bezeichnete Johnson den Sender einmal als „Brexit Bashing Cooperation“. Ähnlich, wie Donald Trump kritische Journalisten aus dem Weißen Haus verbannt oder zumindest damit droht, versuchte auch Johnsons Kommunikationsteam kürzlich, bestimmte Journalisten von einer Informationsveranstaltung mit dem Leiter des britischen Brexit-Teams auszuschließen. Zahlreiche geladene Journalisten boykottierten daraufhin die Veranstaltung.
Deutsche Beobachter dürfte das an eine Pressekonferenz der AfD Brandenburg im Jahr 2018 erinnern, die die geladenen Journalisten gemeinsam verließen, nachdem ein Bild-Reporter mit einem Frageverbot belegt worden war. Die Solidarität der Kolleginnen und Kollegen in London verhinderte, dass einzelne Journalisten von der Pressekonferenz in der Downing Street No. 10 ausgeschlossen wurden, doch untersagt Johnson mittlerweile seinen Kabinettsministern, in Today aufzutreten, der wichtigsten Sendung von BBC Radio 4, angeblich wegen deren unausgewogener Haltung gegenüber Tories und Brexit.
Während einzelne Journalisten beim drohenden Ausschluss ausgewählter Medien Pressekonferenzen der britischen Regierung boykottieren mögen, legen die Redaktionen der wichtigsten brexitfreundlichen Boulevardzeitungen eine solche Solidarität nicht unbedingt an den Tag, ja, sie spenden Johnsons jüngsten Manövern gegen die BBC sogar Beifall. Die Zeitung The Sun, die dem Fox-News-Gründer Rupert Murdoch gehört, baut in viele ihrer Berichte einen Kasten mit einem Kommentar der Redaktion ein, den sie „The Sun says“ nennt. In einem solchen Kommentarkasten zu einem Bericht über die Regierungspläne für die Abschaffung der Rundfunkgebühren rief sie ihren Leserinnen und Lesern in Erinnerung, dass die BBC „ihr einst stolzes Ansehen verspielt hat: […] der nervtötende institutionelle Linksdrall in den Nachrichten, in Drama und ‚Komödie‘. Die überbezahlten Redaktionschefs, die am laufenden Band pseudosozialen Quatsch produzieren, weil sie wissen, dass die Milliardeneinnahmen weiter sprudeln.“
Die Nähe zwischen den großen britischen Boulevardblättern wie der Sun und den regierenden Tories mag an die Beziehung zwischen den ungarischen Medienoligarchen und Orbáns Fidesz erinnern. Doch in der Praxis ähnelt sie eher der Dynamik zwischen Donald Trump und Fox News. Während sich Orbán die Loyalität der Oligarchen durch das Verteilen öffentlicher Gelder sichert, versucht die britische Boulevardpresse seit jeher, die öffentliche Meinung – und die Regierung – in wichtigen Fragen zu beeinflussen. Im Jahr 2016 unterstützte sie den Brexit, obwohl der konservative Premierminister David Cameron für den Verbleib in der EU warb.
Die Blätter unterstützen oft Politiker, die ihre politischen Ziele verfolgen, und überziehen die anderen mit gefährlich populistischer Kritik. Im Jahr 2016 brachte die Daily Mail nach einem Gerichtsurteil, das die Zeitung als juristischen Winkelzug gegen den Brexit auffasste, auf der Titelseite Fotos dreier Richter des High Court unter der Überschrift „Volksfeinde“.
In der Mitte der oft polarisierten, zeitweise populistischen und parteiischen Medienlandschaft Großbritanniens sitzt die BBC. 75 Prozent der erwachsenen Bevölkerung konsumiert Inhalte der fast 100 Jahre alten Anstalt, sei es im Fernsehen, im Radio oder im Internet. Nicht nur die britische Rechte, sondern auch die Linke beschuldigt die BBC mittlerweile der tendenziösen Berichterstattung. Nach der für Labour schlimmsten Niederlage seit 1935 beklagte Schattenverkehrsminister Andy McDonald, dass Jeremy Corbyn „von den Medien unfair verteufelt“ worden sei, auch von der BBC.
Dass während und nach einer Wahl die Linke und die Rechte der BBC politische Einseitigkeit vorwerfen, ist für den Sender ein echter Triumph. Um für die Berichterstattung über dieselben Ereignisse von beiden Seiten des politischen Spektrums Kritik zu ernten, muss sie in Sachen kritischer Journalismus und unparteiische Berichterstattung einiges richtig gemacht haben. Da die Tories unter Johnson derzeit von der rechten Boulevardpresse viel Rückenwind erhalten, ist im Brexit-Großbritannien der Journalismus der BBC markanter – und wichtiger – denn je.
Johnsons öffentlicher Kampf gegen die BBC wirft auch ein Schlaglicht auf weitere schwierige Wahrheiten. Erstens verhandelt die EU nun mit einer weiteren zunehmend populistischen und autoritären Regierung vor ihrer Haustür. Zweitens finden Angriffe auf die Medien als Institution nicht mehr nur in relativ jungen Demokratien statt. Demokratische Prinzipien können praktisch überall zurückgedreht werden, auch in Ländern, die noch vor wenigen Jahren als Inbegriff der politischen und wirtschaftlichen Stabilität galten. 

Aus dem Englischen von Anne Emmert

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