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Donnerstag, 13. Februar 2020

Als Chateaubriand vor dem Terror floh / Tilman Krause WELT 13.02.2020

Der Dichter Chateaubriand sympathisierte zunächst mit der Französischen Revolution. Aber als ihm die ersten abgeschlagenen Köpfe vor die Nase gehalten wurden, wollte er nur noch raus aus Frankreich. 
Der Dichter-Diplomat François-René Vicomte de Chateaubriand, den man mit Fug als Erfinder der Romantik bezeichnet hat, sympathisierte wie die meisten Intellektuellen Frankreichs natürlich zunächst mit der Revolution. Der Personenkult um König Ludwig XVI. hatte den bretonischen Edelmann nur abgestoßen, als er sich zwanzigjährig 1788 am Hofe von Versailles präsentierte.
Auch das oberflächliche Gehabe in den Pariser Salons des Ancien Régime ging dem verträumten Schüler Rousseaus auf die Nerven. „Die Revolution hätte mich mitgerissen, hätte sie nicht mit Verbrechen begonnen: beim Anblick des ersten Kopfes auf der Spitze einer Pike zuckte ich zurück“, schrieb er später in seinen „Erinnerungen von jenseits des Grabes“, dem wichtigsten Memoirenwerk eines Mannes, der alt genug wurde (80 Jahre), um Kronzeuge der Veränderungen Frankreichs beim Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Zeitalter zu werden.
Wo und wann er den „ersten Kopf auf der Spitze einer Pike“ sah, der ihn von der Revolution entfremdete, lässt sich gut rekonstruieren. Chateaubriand ließ sich erst im Sommer 1789 in Paris nieder und bezog mit seinen Schwestern zunächst ein Hotel in der Rue de Richelieu. Das war eine Straße, die damals nicht als besonders mondän galt, aber immerhin auf dem vornehmen rechten Seineufer lag. Hier hatte immerhin der große Diderot seine letzten Lebensjahre verbracht.Noch im Juli 1789, wenige Tage nach der Erstürmung der Bastille, bekommt Chateaubriand hier bereits die ganze Grausamkeit der neuen Zeit zu spüren. Er steht gerade am Fenster seines Hotelzimmers, als plötzlich der Ruf „Schließt die Türen zu!“ ertönt. Ein Haufen zerlumpter Gestalten nähert sich dem Gebäude. Zwei Männer schreiten voran, die zwei grauenhaft zugerichtete Köpfe auf der Spitze einer Pike tragen.
Als sie den erschrockenen jungen Mann am Fenster sehen, kommen sie ganz dicht heran, machen Halt und strecken ihm singend ihre Piken entgegen, springen sogar hoch, damit sie ihre Trophäen ganz dicht an Chateaubriands Gesicht führen können: „Das Auge des einen dieser Köpfe war aus seiner Höhle herausgequollen und rann über das düstere Totenantlitz. Die Pike hatte den offenen Mund durchbohrt, dessen Zähne auf das Eisen bissen“, wird sich der Dichter später erinnern.
Chateaubriand war entsetzt, aber offenbar nicht eingeschüchtert, denn er will das Gesindel sogar noch herausgefordert und ihm „Räuberbande! Das also versteht ihr unter Freiheit?“ entgegengeschleudert haben. Das provozierte die Kanaille natürlich nur noch mehr. Schon schlugen sie lauthals schreiend auf die Hoteltür ein, um sie zu zertrümmern. Ihre Absicht war offenbar, den frechen Unbekannten dort oben an seinem Fenster zu töten und ihren beiden Trophäen eine dritte hinzuzufügen: seinen Kopf.Doch anscheinend gab es in der Anfangsphase der Revolution noch ein Minimum an öffentlicher Sicherheit, jedenfalls war ein Polizeitrupp hinter dem fanatisierten Mob her, der jetzt näher rückte. Die Rädelsführer beschlossen, ihre Beute fahren zu lassen und rannten davon.

via https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article205821763/Actionszenen-der-Weltliteratur-Als-Chateaubriand-vor-dem-Terror-floh.html

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