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Sonntag, 22. Dezember 2019

Warum wollen Sie bei der Deutschen Nationalbibliothek eine andere Fehlerkultur leben, Herr Scholze?

Frank Scholze ist ab Januar neuer Generaldirektor der Deutschen Nationalbibliothek. Hier erklärt er, warum auch Bibliothekare Fehler nicht fürchten, sondern als Entwicklungsschritt betrachten sollten - selbst wenn ihre Arbeit normalerweise von der Genauigkeit lebt.

Frank Scholze bei seiner Antrittsrede am 13. Dezember in der Deutschen Nationalbibliothek
Frank Scholze bei seiner Antrittsrede am 13. Dezember in der Deutschen Nationalbibliothek © Deutsche Nationalbibliothek
"Erfolg besteht darin, von Fehlschlag zu Fehlschlag zu eilen, ohne darüber die Begeisterung zu verlieren." Dieses Winston Churchill zugeschriebene Zitat drückt zugespitzt die Erfahrungen aus, die ich in meiner zehnjährigen Tätigkeit am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gemacht habe und die ich unter anderem auch in meiner Antrittsrede am 13. Dezember 2019 in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt/Main vermitteln wollte.
Fehlertoleranz oder Fehlerfreundlichkeit sind im Zusammenhang mit der pragmatischen Grundhaltung zu sehen, dass es komplexe Fragestellungen und Problemlagen gibt und dass intensive Kooperationen und Partnerschaften ein notwendiger Teil der Art und Weise sind, mit Komplexität umzugehen und sie zu gestalten.
Man könnte sagen, dies sei eine Binsenweisheit im Zeitalter der Digitalisierung, aber es ist ein anspruchsvoller Weg, wenn man ihn nicht abstrakt formuliert, sondern konkret geht. Er bedingt, dass es die einfachen und schnellen Lösungen oft nicht gibt, aber - so paradox das klingen mag - gerade aus dieser Einsicht entstand am KIT die pragmatische Haltung, trotzdem genau dies zu tun: in Form kleiner Schritte und Projekte, in Form des "leistbaren Verlustes" (Michael Faschingbauer).
Es bedeutet, in der Komplexität handlungsfähig und wirkmächtig zu bleiben, auch weil man eine andere Fehlerkultur lebt. Weil man Fehler als unvermeidlich nicht fürchtet, sondern als Entwicklungsschritt betrachtet. Es bedeutet, das anzunehmen, was da ist und dies zu gestalten. Ein konkretes Beispiel waren unsere Experimente bei KIT mit standortbezogenen Informationsdiensten basierend auf Bluetooth-Beacons. Trotz bewährter Partnerschaften und verschiedener kleiner Schritte wurde nichts daraus – und wir haben unter dem Titel "Projekt gescheitert – viel gelernt" darüber publiziert.
Dirk von Gehlen hat die Erfahrungen, die wir am KIT gemacht haben, anschaulicher und theoretisch fundiert in seinem Buch "Das Pragmatismus-Prinzip" (Piper 2018) beschrieben. Dort zitiert er Tim Harford: "Das Prinzip von Versuch und Irrtum ist ein sehr wirkungsvoller Ansatz, um Probleme in einer komplexen Welt zu lösen […] Dazu werden wir eine ungemütlich große Zahl von Fehlern machen und daraus lernen müssen, statt sie zu vertuschen oder vor unserer Umwelt oder […] gar vor uns selbst zu leugnen. Ein solches Verhalten sind wir jedoch nicht gewohnt."
Natürlich bedeutet dies nicht, jetzt zum Beispiel nie mehr auf die deutsche Rechtschreibung zu achten, aber es bedeutet als Einzelne und als Organisation eine gelassenere Haltung gegenüber Fehlern zu finden. Das geht nur durch ständiges Ausprobieren sowie dadurch, sich und anderen Fehler zu verzeihen. Dass dies gelingen kann, möchte ich gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen in der Deutschen Nationalbibliothek und allen ihren Partnerinnen und Partnern herausfinden.
Frank Scholze, Jahrgang 1968, war seit 2010 Direktor der Bibliothek des Karlsruher Instituts für Technologie. Er hat Bibliothekswesen, Kunstgeschichte und Anglistik studiert. Ab Januar 2020 tritt er bei der Deutschen Nationalbibliothek die Nachfolge der langjährigen Generaldirektorin Elisabeth Niggemann an. Mehr zur Amtsübergabe hier.

via https://www.boersenblatt.net/2019-12-22-artikel-warum_wollen_sie_bei_der_deutschen_nationalbibliothek_eine_
andere_fehlerkultur_leben__herr_scholze_-sonntagsfrage.1782914.html

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