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Dienstag, 13. November 2018

Was passiert, wenn die eigenen Bücher gestohlen werden: Ein Erfahrungsbericht von Janika Gelinek. In: WELT 12.11.2018

Stell dir vor, du packst 32 Kartons voll mit Büchern. Und dann werden die Kisten geklaut. Der absolute Horror! Eine Geschichte, die jeder, der Bücher hat und umziehen will, lesen sollte. 
I. Die Tat
In den frühen Morgenstunden des 25. August 2018 brachen Unbekannte in der Viale dello Scalo di Lorenzo 97 in Rom den Lastwagen des Möbelspediteurs Knut W. auf und schleppten 32 mit Paketband verklebte Kartons weg, 23 ließen sie im Frachtraum liegen. In den Kartons befanden sich meine Bücher. 
II. Das Leben
Wie die Bücher dort hingekommen sind? Auf einem jener umständlichen Wege, aus denen Leben und Bibliotheken oft gleichermaßen bestehen. Erste Bücher sammelte ich in Hamburg, wo ich lesen und das Lesen lieben gelernt habe. Von Hamburg aus zog ich zum Studium nach Berlin, wo, wie sollte es anders sein, Hesse und Kafka um Adorno, Derrida und Rorty erweitert wurden und vor allem um jenen kruden, aus allerlei Partikularinteressen zusammengesetzten Humus und Bodensatz, der eine Bibliothek von einer mehr oder weniger gut sortierten zu einer individuellen macht: ein Ausstellungskatalog von Jakob van Hoddis, die Tagebücher von Paul Klee, die Autobiografien von Cardano und Stephen King, italienische Gegenwartsliteratur, Sebaldiana.
Von Berlin aus zog ich nach Zürich, zu meinem ersten richtigen Job. Erstmals stellte sich die Frage, was ich mit den Büchern machen sollte, denn meine Generation weiß, dass ein Job nicht auf Lebenszeit ist und sechs Billy-Regale auch für ein längeres Dazwischen eine Belastung.
Da meine Generation auch länderübergreifende Beziehungen pflegt, entschied ich mich dafür, dass die Beziehung haltbarer sei als der Job, und transferierte meine Bücher nach Rom. Ein Spediteur kam in mein Hochparterre in Neukölln und stöhnte das handelsübliche Stöhnen bei Ansicht von Bücherkartons. Gemeinsam verluden er und ich die Kartons, nur den allerletzten, den hob er mit Schwung alleine hoch, der Boden öffnete sich und – es regnete Bücher durchs dunkle Treppenhaus der Ossastraße 44.
Sieht das fantastisch aus, dachte ich damals, vor dem Schock, vor dem Hineilen zu den marginal Verletzten, sie breiteten die Flügel aus und flogen, all die gelben und orangefarbenen Reclam-Bände: Grimmelshausen, Cicero, Lessing. ... [mehr] https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article183657500/Abschiednehmen-von-den-geliebten-Buechern.html

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