Bereits
seit 2016 planen die Europäische Kommission, das Europäische Parlament
und der Europäische Rat eine Reform des europäischen Urheberrechts, die
sogenannte „Directive on the Copyright in the digital single market“.
Diese Reform soll das bestehende Recht an die geänderten Voraussetzungen
durch die Digitalisierung anpassen. Die abschließenden
gesetzgeberischen Schritte sollen noch vor der Sommerpause erfolgen.
Nach dem bisherigen Diskussionsstand sind gravierende Nachteile für den
Innovationsstandort Europa zu befürchten. Eine europaweite Initiative
hat sich nun in einem offenen Brief, den auch ZB MED –
Informationszentrum Lebenswissenschaften mitunterzeichnet hat, an die
Verantwortlichen gewandt und für Europas Offenheit,
Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Wissenschaft, Forschung und Bildung
tragfähige rechtliche Rahmenbedingungen eingefordert. Zur Verdeutlichung
seien hier einige wichtige Themenfelder genannt:
Das
Text und Data Mining entwickelt sich im digitalen Zeitalter immer mehr
zu einem unentbehrlichen Instrument für Forschung und Entwicklung. Der
bislang bei veröffentlichten Werken als übliche Nutzung geltende Einsatz
von Werkzeugen des Text und Data Mining soll im Zuge des
Gesetzgebungsverfahrens deutlich eingeschränkt werden (Art. 3). Zwar
sollen von den geplanten Beschränkungen wiederum unter bestimmten
Bedingungen Ausnahmen insbesondere für öffentliche Einrichtungen der
Wissenschaft und Kultur gelten. Nutzerkreise, die nicht von den
komplexen Ausnahmeregelungen erfasst werden, wie zum Beispiel
Einzelforschende, müssen jedoch künftig mit erheblichen Einschränkungen
rechnen. Eine solche Innovationsbremse würde den mit dem Einheitlichen
Digitalen Binnenmarkt ursprünglich verfolgten Zielen diametral
entgegenlaufen und die Position Europas in der Welt schwächen.
Problematisch
sind auch die wenig präzise formulierten Sonderregelungen, die künftig
die Online-Wiedergabe von mehr als unwesentlichen Teilen von
Presseartikeln genehmigungspflichtig machen sollen (Art. 11).
Zweifelhaft ist hier schon, wo überhaupt der Regelungsbedarf auf
europäischer Ebene liegt. Die jetzige Fassung sieht explizit vor, dass
damit in den einzelnen Mitgliedsländern völlig divergierende Umsetzungen
ermöglicht werden sollen. Problematisch ist aber vor allem, dass die
derzeit diskutierten Regelungen nicht nur im großen Stil erfolgende,
kommerziell getriebene Zweitvermarktungen zulasten des Erstvermarkters
erfassen. In ihrer derzeitigen Ausgestaltung behindern sie vielmehr auch
massiv die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Veröffentlichungen
in Open-Access-Medien und generell den kritischen Diskurs zu den
veröffentlichten Inhalten. Soll etwa künftig jemand, der einen
Gegenentwurf zu einem provokanten Artikel formulieren will, auf jegliche
Bezugnahme verzichten oder gar vorher eine Zustimmung zu seinem
Vorhaben einholen? Bedauerlich wäre zudem der damit unvermeidlich
verbundene weitere Relevanzverlust des Qualitätsjournalismus für die
öffentliche Meinungsbildung.
Zudem
muss auch auf europäischer Ebene die praktische Umsetzbarkeit und der
durch eine Regelung verursachte bürokratische Mehraufwand immer
sorgfältig gegenüber den mit der Regelung verfolgten, gut gemeinten
Anliegen abgewogen werden. Eine solche Abwägung ist bei der
EU-Urheberrechtsreform bislang aber leider noch nicht hinreichend
erfolgt. Anlass zur Besorgnis gibt vor allem Art. 13, der Betreiber zu
aktiven und effektiven Vorkehrungen gegenüber befürchteten
Urheberrechtsverletzungen durch Dritte verpflichtet. Dies zielt auf
Plattformen, die von systematischem Missbrauch profitieren, trifft aber
in Wirklichkeit die breite Masse. Große Anbieter und die eigentlich
gemeinten schwarzen Schafe können zusätzlichen bürokratischen Aufwand am
leichtesten schultern. Die große Vielzahl seriöser Anbieter sieht sich
jedoch schwer kalkulierbaren und gerade für die kleineren möglicherweise
auch gar nicht umsetzbaren Mehranforderungen ausgesetzt, ohne dass dem
ein erkennbarer gesellschaftlicher Gewinn entgegenstünde. Bliebe es beim
aktuellen Regelungsansatz, würde dies eine Ausdünnung der
Anbietervielfalt und zunehmende Konzentration auf wenige Große fördern.
Hinzu kommt, dass die unpräzisen und zum Teil widersprüchlichen
Formulierungen erhebliche Rechtsunsicherheiten schaffen. Auch vor dem
Hintergrund der aktuellen Aufregung um die Umsetzung der Europäischen
Datenschutzgrundverordnung sollte jetzt nicht gleich eine neue Debatte
über praxisferne europäische Regelungen losgetreten werden. Beschlossen
werden sollten nur Regelungen, deren praktische Umsetzbarkeit zuvor
hinreichend geprüft und durchdacht wurde.
Das
Urheberrecht gehört auf dem essentiell auf Innovation angewiesenen
Kontinent Europa zu den zentralen rechtlichen Rahmenbedingungen. Deshalb
sollte jetzt die Chance genutzt werden, die Weichen so zu stellen, dass
ein gutes Fundament für Innovation und Entwicklung geschaffen wird.
Dass sachgerechte Lösungen möglich sind, hat erst kürzlich die
Urheberrechtsnovelle bei uns in Deutschland gezeigt.
Ein
breites Spektrum von insgesamt 147 europäischen Organisationen aus 28
EU-Mitgliedstaaten hat den Offenen Brief unterzeichnet, darunter
Institutionen aus Wissenschaft und Forschung, Menschenrechts- und
Medienfreiheitsorganisationen, Softwareentwickler und Start-ups, Verlage
und Journalisten. Zu den deutschen Unterstützern zählen neben ZB MED
beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft der Medieneinrichtungen an
Hochschulen e.V., der Deutsche Bibliotheksverband e.V., das Karlsruher
Institut für Technologie (KIT) und der Verein Deutscher
Bibliothekarinnen und Bibliothekare e.V.
Offener Brief zur „Directive
on the Copyright in the digital single market“.
on the Copyright in the digital single market“.
"With so many legal uncertainties and collateral damages the legislation is destined to become a nightmare"
Your Excellency Ambassador, cc. Deputy Ambassador,
We,
the undersigned, are writing to you ahead of your COREPER discussion on
the proposed Directive on copyright in the Digital Single Market.
We
are deeply concerned that the text proposed by the Bulgarian Presidency
in no way reflects a balanced compromise, whether on substance or from
the perspective of the many legitimate concerns that have been raised.
Instead, it represents a major threat to the freedoms of European
citizens and businesses and promises to severely harm Europe’s openness,
competitiveness, innovation, science, research and education.
A
broad spectrum of European stakeholders and experts, including
academics, educators, NGOs representing human rights and media freedom,
software developers and startups have repeatedly warned about the damage
that the proposals would cause. However, these have been largely
dismissed in rushed discussions taking place without national experts
being present. This rushed process is all the more surprising when the
European Parliament has already announced it would require more time
(until June) to reach a position and is clearly adopting a more cautious
approach.
If
no further thought is put in the discussion, the result will be a huge
gap between stated intentions and the damage that the text will actually
achieve if the actual language on the table remains:
• Article
13 (user uploads) creates a liability regime for a vast area of online
platforms that negates the E-commerce Directive, against the stated will
of many Member States, and without any proper assessment of its impact.
It creates a new notice and takedown regime that does not require a
notice. It mandates the use of filtering technologies across the board.
• Article
11 (press publisher’s right) only contemplates creating publisher
rights despite the many voices opposing it and highlighting it flaws,
despite the opposition of many Member States and despite such Member
States proposing several alternatives including a “presumption of
transfer”.
• Article
3 (text and data mining) cannot be limited in terms of scope of
beneficiaries or purposes if the EU wants to be at the forefront of
innovations such as artificial intelligence. It can also not become a
voluntary provision if we want to leverage the wealth of expertise of
the EU’s research community across borders.
• Articles
4 to 9 must create an environment that enables educators, researchers,
students and cultural heritage professionals to embrace the digital
environment and be able to preserve, create and share knowledge and
European culture. It must be clearly stated that the proposed exceptions
in these Articles cannot be overridden by contractual terms or
technological protection measures.
• The
interaction of these various articles has not even been the subject of a
single discussion. The filters of Article 13 will cover the snippets of
Article 11 whilst the limitations of Article 3 will be amplified by the
rights created through Article 11, yet none of these aspects have even
been assessed.
With
so many legal uncertainties and collateral damages still present, this
legislation is currently destined to become a nightmare when it will
have to be transposed into national legislation and face the test of its
legality in terms of the Charter of Fundamental Rights and the Bern
Convention.
We
hence strongly encourage you to adopt a decision-making process that is
evidence-based, focussed on producing copyright rules that are fit for
purpose and on avoiding unintended, damaging side effects.
Yours sincerely,
The over 145 signatories of this open letter – European and global organisations, as well as national organisations from 28 EU Member States, represent human and digital rights, media freedom, publishers, journalists, libraries, scientific and research institutions, educational institutions including universities, creator representatives, consumers, software developers, start-ups, technology businesses and Internet service providers.
*
Der
Offene Brief wurde auch von 16 deutschen Einrichtungen unterschrieben.
Das sind: Arbeitsgemeinschaft der Medieneinrichtungen an Hochschulen
e.V. (AMH) - Bundesverband Deutsche Startups - Deutscher
Bibliotheksverband e.V. (dbv) – eco, Association of the Internet
Industry - Factory Berlin - Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht
(IGEL) - Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth - Karlsruhe
Institute of Technology (KIT) - Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz
- Silicon Allee - Staatsbibliothek Bamberg - Ubermetrics Technologies -
Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt
(Martin-Luther-University Halle-Wittenberg) - University Library of
Kaiserslautern (Technische Universität Kaiserslautern) - Verein
Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare e.V. (VDB) - ZB MED –
Information Centre for Life Sciences
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