Der Illustrator und Autor Tomi Ungerer (87) ist heute Nacht im Haus
seiner Tochter im irischen Cork gestorben. Er war ein vor Ideen
überschäumender Künstler, streitbarer Geist, unverwechselbarer
Covergestalter, Schalk – und Philosoph.
Mit dem Tod hatte sich Tomi Ungerer nicht nur in seiner Kunst
intensiv auseinandergesetzt: "Ich bin seit über 80 Jahren vergänglich",
war seine treffende Zusammenfassung. Nach drei Herzinfarkten kam, als
ihm 2008 als erstem lebenden Künstler Frankreichs ein eigenes Museum
gewidmet wurde (das Musée Tomi Ungerer mit 8000 Zeichnungen, 2000
Plakaten und Grafiken sowie einer großen Spielzeugsammlung [in Sraßburg]), der Krebs.
Als ich ihn damals in seinem Elternhaus in Straßburg besuchte, das sein
Vater Theo entworfen hat, machten ihm die Bestrahlungen zu schaffen,
aber er lachte, scherzte, sprudelte vor Ideen: eine Kämpfernatur. "Nimm
den Tumor mit Humor – das ist mein Motto", meinte er. Er erzählte, wie
er den Tod schon als Kind hautnah erlebt hatte, im Zweiten Weltkrieg bei
der drei Monate dauernden Schlacht um den Colmarer Brückenkopf. Der Tod
werde für alles angeklagt – "das ist falsch. Der Tod ist ja ein
Lebensphänomen, ein gutmütiger Zollbeamter, ein Grenzwächter. Ich habe
sogar eine Sehnsucht nach dem Tod. Dann gibt es kein protestantisches
Schuldgefühl mehr."
Unterkriegen lassen war seine Sache nicht, mit Eifer und Lust stritt
er für Dinge, von denen er überzeugt war, engagierte sich als im Elsass
Geborener aus Überzeugung für das Miteinander von Franzosen und
Deutschen. In Gesprächen blitzten ständig neue Ideen in ihm auf,
fortwährend produzierte er Bonmots: Tomi liebte es, mit der Sprache zu
spielen, auszuprobieren, neue Wörter zu finden – einen "manischen
Wortbastler" nannte er sich gern. Man konnte ihm beim lauten Denken
wunderbar zuhören, immer eine ironische Wendung auf der Zunge: "Weißt
du, im Prinzip bin ich halb Max und halb Moritz – und naja, einer spielt
dem anderen gern einen Streich ..." Und er konnte sich wunderbar
verlachen, bis ihm fast die Tränen kamen.
In seinen Werken war Tomi Ungerer subversiv im besten Sinne. Nicht
nur hierzulande haben sich besorgte Lehrer und Eltern aufgeregt,
beispielsweise darüber, dass in "Kein Kuss für Mutter" (1974)
eine Schnapsflasche auf dem Frühstückstisch steht und der kleine Toby
Zigarre raucht. "Ich bin der Albtraum der Pädagogen" war sein Kommentar –
und es freute ihn. Mit Büchern wie "The Party" (1969), worin er die vornehme New Yorker Gesellschaft satirisch auf Papier bannte, "Fornicon" (1970) oder dem "Kamasutra der Frösche"
(1982) brachte er die Erwachsenen zu Schweißausbrüchen. Der Blick ins
Regal zeigt Kinderbücher, von denen viele längst Klassiker geworden
sind: "Crictor, die gute Schlange" (1959), "Die drei Räuber", die schließlich ein Waisenhaus bauen (1961), "Zeraldas Riese" (1970) und "Das Biest des Monsieur Racine" (1972), "Das große Liederbuch" (1975), "Flix" (1997), "Die Abenteuer der Familie Mellops" (2006), "Der Nebelmann" (2012) und "Warum bin ich nicht du?" (2016).
Am 24. April [2019] wird sein jüngstes Bilderbuch "Non Stop" bei
Diogenes erscheinen, in dem in einer komplett zerstörten Welt ein junger
Mann ein kleines Kind rettet. Fast filmisch stürzt hinter ihm immer
wieder Architektur zusammen, während ihm sein Schatten den Weg weist:
Wie Tomi Ungerer die Spannung mit Cliffhangern aufrecht erhält – das
sorgt für Bluthochdruck beim Betrachter. Die Beziehung zu Diogenes
war eine besondere: Seit 1960 veröffentlichte er in dem Zürcher Verlag
und war sein "dienstältester" Autor; zudem hat er über Jahrzehnte die
Cover bis hin zu den detebe-Taschenbüchern geprägt. Weltweit haben sich
seine Werke in mehr als 17 Millionen Exemplaren verkauft. Typisch für
seinen nie enden wollenden provokanten, schwarzen Humor war eine seiner
Ideen, was auf seinem Grabstein stehen könnte: "Ganz gut passen würde
doch: 'Rest in pieces or in peaces'."
via https://www.boersenblatt.net/2019-02-09-artikel-nachruf_auf_tomi_ungerer.1596329.html
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