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Montag, 13. Februar 2017

Schwule und Lesben im Südwesten

Die digitale Gedenkkarte, die seit wenigen Tagen unter https://www.der-liebe-wegen.org mit Spendengeldern und der Förderung des Sozialministeriums von Baden-Württemberg im Netz steht, ist eine Auflistung des Unrechts, das staatliche Behörden über Generationen an Schwulen und Lesben begangen haben. 

Unter den 250 Einzelschicksalen, die man anklicken kann, ist der 1883 in Stuttgart geborene Theater- und Filmschauspieler Fritz Junkermann. 1932 war er nach dem sogenannten Schwulenparagrafen 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte und erst 1994 endgültig abgeschafft worden ist, zu 280 Reichsmark verurteilt worden. Ein Stricher denunzierte ihn Anfang 1940, weil er sich damit selbst ein milderes Urteil erhoffte. „Wegen fortgesetzter widernatürlicher Unzucht“ wurde Junkermann zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt. Am 19. Juli 1941 überführte die Polizei ihn in das KZ Sachsenhausen, wo er am 9. April 1942 zwangskastriert wurde. Vermutlich am 5. Oktober ist der Schauspieler im Alter von 58 Jahren vergast worden.  

Die Initiatoren des Internetprojekts, der Verein Weissenburg Stuttgart und die Rosa Hilfe Freiburg, geben den Opfern Gesicht und Stimme. Erinnerungen an die Repressalien mahnen zur Wachsamkeit.  Nach monatelanger Arbeit haben die Rechercheure, die ein geringes Honorar aus Landesmitteln erhielten, eine Website online gestellt, die aufwühlend ist, weil sie das Leben von Menschen beleuchtet und sich nicht auf Zahlen beschränkt. Erstmals sind viele Scans von Originaldokumenten veröffentlicht, die etwa die Einweisung in ein Konzentrationslager durch regionale Polizeidienststellen belegen oder Häftlingspersonalkarteien und Todesmeldungen aus den Konzentrationslagern zeigen.

Die Webseite ist in Zusammenarbeit mit der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber entstanden. „Das Internetprojekt setzt um, was Aufgabe des zukünftigen Lern- und Gedenkortes sein wird“, ist im Grußwort der Initiative zu lesen. Im Hotel Silber, der früheren Gestapo-Zentrale, hat die Polizei nach Kriegsende die Überwachung von Minderheiten fortgeführt. Nach eigener Schätzung hatten die Beamten in den 1950ern und 1960ern etwa 2000 Namen in ihrer Kartei. 

Treffpunkte von Schwulen und Lesben waren Bars in den „Vereinigten Hüttenwerken“, wie man das Rotlichtviertel Stuttgarts nach dem Krieg nannte, Badeanstalten und Toilettenanlagen wie der spätere Kiosk, aus dem das Lokal Palast der Republik geworden ist. An der Oberen Bachstraße (die heute vom Schwabenzentrum überbaut ist) führte Alois Weiß eine Schneiderei, aus der 1953 mit amtlicher Genehmigung ein Schnellimbiss wurde. Das Geschäft sei unter der Woche „eine ganz brave Schneiderei“ gewesen, wie sich Zeitzeugen erinnern, die Rentner Reiner P. und Johann W.: „Aber am Wochenende gab es dort Tanz für Homosexuelle.“ Hinter der Schneiderei befanden sich Räume, in die sich die Männer unbeobachtet zurückziehen konnten. „Es war völlig harmlos, nur Tanz und Musik.“ Kam die Polizei, wurden die Tänzer im Hinterzimmer gewarnt. Die Musik wurde abgestellt. Daraus ist das Café Weiß geworden, das sich heute beim Hans-im-Glück-Brunnen befindet. „Dieses Café hat in Stuttgart eine so wichtige Rolle gespielt“, sagt Gerhard Goller, mehrere Jahrzehnte Leiter der Gaststättenbehörde im Rathaus, „dass man es zum Weltkulturerbe erklären müsste.“ Vor dem Krieg existierten schwul-lesbische Stadtpläne in Stuttgart. Darin konnte man sich über „Sitz und Zusammenkünfte eventuell vorhandener Organisationen, homoerotische Verkehrslokale, preiswerte Hotels, verständnisvolle Ärzte und Rechtsanwälte“ informieren, wie der homosexuellen Zeitschrift „Freundschaft“ im Februar 1933 zu entnehmen war. Im Saalbau der heutigen Rosenau im Stuttgarter Westen fanden Maskenbälle für Schwule statt.

Das Internetprojekt „Der Liebe wegen“ hat aufgedeckt, dass sich in der Region mindestens zwölf Männer von 1945 bis Ende der 1960er „freiwillig” kastrieren ließen, um der Bestrafung nach Paragraf 175 zu entgehen. Dies hatten die Rechercheure beim Lesen von Akten des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg herausgefunden.  

via Stuttgarter Zeitung vom 08.02.2017 - Uwe Bogen

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