Sie erinnern
sich? Belesenheit galt einmal als Prämisse und Ausweis für
Allgemeinbildung. Beides, Allgemeinbildung wie Belesenheit, wird heute
weithin für obsolet gehalten, gehört jedenfalls nicht mehr zu den
erstrebenswerten Geistesqualitäten und wird auch kaum noch irgendwo,
weder an Hochschulen noch im Berufsleben, als selbstverständlich
vorausgesetzt. Keiner, der heute als Intellektueller reüssieren und sich
behaupten will, muss «seinen» Lukrez, «seinen» Goethe, «seinen»
Baudelaire oder auch bloss «seinen» Thomas Mann gelesen haben.
Heutiges
Leseverhalten ist nicht mehr durch breit angelegte, thematisch und
strukturell komplexe Vorlagen konditioniert, sondern primär durch Kurz-
und Kürzesttexte, wie sie via Twitter, SMS, Facebook, E-Mail verbreitet
oder empfangen werden. Dazu kommt die stetig sich verdichtende
öffentliche «Stadtschrift», die Informations- und Werbetexte aller Art
in sich vereint, dazu Spruchbänder bei Demonstrationen, Plakate und
gesprayte Parolen, aber auch Schriftzüge auf öffentlichen
Verkehrsmitteln, auf Firmen- und Privatfahrzeugen, dazu Aufdrucke auf
T-Shirts sowie tätowierte Losungen auf der blossen Haut. ... [mehr] https://www.nzz.ch/feuilleton/das-weisse-blatt-ist-eine-illusion-ld.1353776
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