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Montag, 28. September 2015

Staatsbibliothek zu Berlin erwirbt das Wagenbach-Archiv

Der 1964 in West-Berlin gegründete Verlag Klaus Wagenbach, der von Anfang an publizistischer Begleiter und Zeuge bewegter bundesrepublikanischer Geschichte wie auch kultureller Entwicklungen Europas war, überlässt sein Archiv der ersten vierzig Jahre der Staatsbibliothek zu Berlin. Es umfasst 260 Ordner und etwa 2.100 Herstellungstüten, in denen der Entstehungsprozess eines jeden Buchs dokumentiert ist. Der Verlag schafft damit Platz für neue Publikationsvorhaben und übergibt der Forschung umfangreiche und bislang weitgehend unbekannte Quellen. Die Staatsbibliothek zu Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz erwarben das Teilarchiv des Wagenbach-Verlags mit Unterstützung durch die Kulturstiftung der Länder.

In den 1970er Jahren wurde vor allem politische Literatur verlegt. So finden sich Schriftwechsel etwa mit Ingeborg Bachmann, Günter Grass, Stephan Hermlin, Wolf Biermann, Johannes Bobrowski, F.C. Delius, Peter Rühmkorf, Peter Schneider, Ernst Jandl, Ulrike Meinhof, Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit, Peter Brückner (u.a. über dessen Amtsenthebungsverfahren), Otto Schily und dem Grips-Theater, außerdem die umfangreiche Korrespondenz mit Erich Fried, einem der zentralen politischen und literarischen Autoren des Verlags. Dazu kommen Unterlagen zu den Gerichtsprozessen, mit denen der Verlag überzogen wurde, etwa die Frage um den „Mord“ an Benno Ohnesorg. Die Dokumente zeigen die Entwicklung der damaligen Avantgardeliteratur als Abbild der allgemeinen politischen und kulturellen Lage und zeichnen die Führungsrolle nach, die der Verlag dabei einnahm (einschließlich der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten sowohl mit dem Staat als auch innerhalb der Linken, etwa die Bedrohung durch die RAF.)

In den 1980er Jahren beginnt die Entwicklung des Verlags hin zur Kultur- und Kunstgeschichte und zur italienischen Literatur mit Autoren wie Peter Burke, Alain Corbin, Natalie Zemon Davis, Carlo Ginzburg, Salvatore Settis, Heinz Berggruen, Wolfgang Ullrich, Giorgio Vasari und Horst Bredekamp sowie Giorgio Manganelli, Luigi Malerba, Gianni Celati, Stefano Benni, Norberto Bobbio und Natalia Ginzburg. Inzwischen hat sich der Verlag immer weiter internationalisiert, publiziert anspruchsvolle literarische Autoren, die deutsch, italienisch, spanisch, französisch und englisch schreiben. Mit über 1.200 verlegten Titeln wählt der Verlag nach wie vor seine Bücher nach inhaltlichen und nicht nach merkantilen Kriterien aus. Ein besonderes Merkmal der Wagenbach-Bücher ist die hohe optische und haptische Qualität der Bücher.

Das Archiv beinhaltet neben vielem anderen umfangreiche Chef- und Lektoratskorrespondenzen, Gutachten, Manuskriptablehnungen und in den Herstellungstüten Schriftwechsel von Herstellern, Gestaltern und Lektoren mit den Autoren zu den einzelnen Büchern, die dazugehörigen Manuskripte, Übersetzungen, Lektorate, Korrekturgänge und Einbandentwürfe. Aus dem Vertrieb gibt es Korrespondenzen mit Buchhändlern und Auslieferungen und mit Autoren über Lesungen und die Verbreitung der Bücher. Anhand von Absatzzahlen lassen sich die Wirkung von Rezensionen, Verkaufsaktionen, Werbemitteln oder Lesereisen ermitteln.

Die Berliner Zeitung Tagesspiegel schreibt zum Erwerb des Wagenbach-Archivs durch die Staatsbibliothek: "...es ist ein Glücksfall für alle Seiten, dass das Archiv mit Geldern der Kulturstiftung der Länder von der Staatsbibliothek zu Berlin für einen auch auf Nachfrage ungenannten Betrag erworben wurde. Was der unabhängige Verlag niemals aus eigener Kraft hätte leisten können, das wird im Schutz der Institution künftig möglich: freier Zugang zu den Dokumenten, konservatorische Aufbereitung und, wenn die DFG die Mittel freigibt, eine Verschlagwortung der aus heterogenen Quellen abgehefteten Vorgänge zu einzelnen Büchern.... Insbesondere das Material der frühen siebziger Jahre verspricht Aufschluss über eine Gemengelage, bei der sich dogmatische und undogmatische Linke ständig in den Haaren lagen und die Übergänge von radikalem Denken zu Fanatismus und Terrorismus fließend waren. Mit dem Archiv verfügt die Staatsbibliothek erstmals über zahlreiche Originale von Rudi Dutschke. Dazu kommen Briefwechsel mit Ulrike Meinhof, Peter Brückner und Erich Fried....Das Wagenbach-Archiv ergänzt das digitalisierte und mittlerweile stark nachgefragte Archiv des Ost-Berliner Aufbau Verlags aus den Jahren 1945 bis 1990. Und es reiht sich ein in die Archive der Wissenschaftsverlage Vandenhoeck & Ruprecht, de Gruyter sowie eines bedeutenden Teils des Musikverlags Schott mit Originalhandschriften von Beethoven, Chopin und Orff" (mehr unter http://www.tagesspiegel.de/kultur/staatsbibliothek-zu-berlin-wundertuete-aus-wagenbach-archiv/12359606.html.

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