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Dienstag, 11. Juni 2019

Wie die USA die Rede- und Pressefreiheit aushebeln wollen

Die US-Regierung unter Donald Trump versucht in ihrer Anklage gegen Julian Assange, den Schutz der Rede- und Pressefreiheit auszuhebeln – mit weitreichenden Folgen für den investigativen Journalismus.
Die USA wollen den Wikileaks-Gründer nach dem im Jahre 1917 verabschiedeten Espionage Act verurteilen. Aus diesem Grunde hat eine Grand Jury die ursprüngliche Anklage wegen einer „Hacker-Verschwörung“ um 17 weitere Punkte erweitert und drastisch verschärft. Sollte der derzeit im britischen Gefängnis einsitzende Australier von Großbritannien an die USA ausgeliefert werden, drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft – fünf für die „Hacker-Verschwörung“ mit der US-Gefreiten Chelsea Manning und jeweils zehn für die 17 Veröffentlichungen von US-Staatsgeheimnissen.
Der schärfste Vorwurf lautet „Kollaboration mit dem Feind“: Unter den bei Osama bin Laden gefundenen Papieren war eine Anweisung an den Kommunikationsstab von Al Qaeda, die Veröffentlichungen von Wikileaks auszuwerten. Bis auf diesen Anklagepunkt sind alle weiteren Beschuldigungen jedoch nicht neu. Sie wurden bereits 2013 vor einem US-Militärgericht im Verfahren gegen Chelsea Manning verhandelt. Manning wurde damals zu 35 Jahren Haft verurteilt – und 2017 von Präsident Barack Obama begnadigt.
Eine Grand Jury ist im US-amerikanischen Rechtssystem eine Jury, die in einem nichtöffentlichen Verfahren darüber befindet, ob vorgelegte Beweise ein Kapitalverbrechen belegen. Falls ja, formuliert sie anschließend eine entsprechende Anklage.
In der Geschichte der USA hat es bisher nur einmal eine Grand Jury gegeben, die sich mit dem im Ersten Weltkrieg eingeführten Espionage Act beschäftigte, der in schweren Fällen die Todesstrafe für eine Kollaboration mit dem Feind vorsieht. Mitten im Zweiten Weltkrieg erschien 1942 in der Chicago Tribune der scheinbar unverfängliche Kriegsbericht „Navy Had Word of Jap Plan to Strike at Sea“. Wer den Artikel genau studierte, konnte erfahren, dass die USA die verschlüsselte Kommunikation der japanischen Marine mitlesen konnte. US-Präsident Roosevelt orderte die Verhaftung des Reporters, des Herausgebers und des Verlegers an. Sie sollten nach dem Espionage Act verurteilt werden. Doch die von seinem Justizministerium zusammengestellte Grand Jury befand, dass die Journalisten unter dem Schutz des 1. Zusatzartikels der Verfassung standen und ließ die Anklage fallen. Er lautet:
„Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das eine Einrichtung einer Religion zum Gegenstand hat oder deren freie Ausübung beschränkt oder eines, das Rede- und Pressefreiheit oder das Recht des Volkes, sich friedlich zu versammeln und an die Regierung eine Petition zur Abstellung von Missständen zu richten, einschränkt.“
Der Espionage Act (18 USC 793) wurde seit seiner Verkündung genutzt, um die Freiheit der Rede und der Presse zu unterlaufen. Wegen des Verteilens von Flugblättern gegen den Krieg wanderten die Pazifisten Elizabeth Baer und Charles Schenck sechs Monate ins Gefängnis. Vier Jahre Haft kassierte der Sozialist Eugene V. Debs, weil er in einer Rede Verständnis für die jungen Männer äußerte, die sich der Einberufung entzogen hatten.
Im Fall von Julian Assange hat das von Trump-Hardlinern dominierte Justizministerium eine Grand Jury zusammengestellt, die in 17 Anklagepunkten seine Taten so umschreibt, dass niemals der Verdacht aufkommt, hier veröffentliche jemand wie ein Journalist Dokumente, die Missstände aufdecken. Dabei geht man im „Superseding Indictment“ so weit, auf den Chaos Computer Club als Referenz zu verweisen. Denn auf dem 26. Jahreskongress 2009 des CCC habe sich Wikileaks als „führendes Enthüllungsportal für gesperrte, geheime oder juristisch bedrohte Dokumente“ vorgestellt. Von Journalismus sei keine Rede gewesen.
Zur Vorstellung der erweiterten Anklage gab es eine Pressekonferenz im Justizministerium, auf der ein Sprecher erklärte, Assange habe niemals wie die New York Times als Journalist gearbeitet. Assange habe sich mit seinen Mitarbeitern nicht wie echte Journalisten darum gekümmert, Namen in Dokumenten unkenntlich zu machen. Das sei 2010 für viele Amerikaner und ihre Verbündeten im Irak und Afghanistan eine tödliche Gefahr gewesen. In den 17 Anklagepunkten geht es um eine Verschwörung, nationale (geheime) Sicherheitsinformationen der USA zu erhalten, diese dann zu speichern und schließlich zu veröffentlichen. Dabei vergisst die Grand Jury jedoch, dass Assange mit seinen Enthüllungen der Kriegsverbrechen von US-Soldaten, die Zivilisten im Irak töteten, investigative Vorarbeit für die darauf folgende weltweite Berichterstattung leistete – unter anderem auch in der zitierten New York Times.
Nun ist Assange derzeit in Belmarsh inhaftiert und wird in der medizinischen Abteilung des britischen Gefängnisses behandelt, weil er seit seiner Festnahme vor sieben Wochen dramatisch an Gewicht verloren hat. Von einem britischen Gericht wurde er Anfang Mai zu einer Haftstrafe von 50 Wochen verurteilt, weil er sich mit der Flucht in die Botschaft von Ecuador den Meldeauflagen entzogen habe. 2012 war Assange indes in letzter Instanz vor diesem Supreme Court mit einer Klage gescheitert, die die drohende Auslieferung nach Schweden verhindern sollte. In der Urteilsbegründung wurde Assange als „Publisher“ bezeichnet, in dem Urteil der Vorinstanz war gar vom „australischen Journalisten Julian Assange“ die Rede.
Damit steht die britische Auffassung der Rolle von Wikileaks gegen den US-amerikanischen Versuch, Assange als Kriminellen vom ehrenwerten und geschützten Journalismus abzugrenzen. In Großbritannien hatte der Guardian genau wie die New York Times Wikileaks-Dokumente veröffentlicht, ohne dass seine Journalisten belangt wurden.
Noch im Juni will ein britisches Gericht über die Auslieferung Assanges an die USA entscheiden. Sie wäre schon jetzt unzulässig, wenn die amerikanische Grand Jury das volle Strafmaß des Espionage Act anlegen würde: Das britische Recht untersagt die Auslieferung von Menschen, denen die Todesstrafe drohen könnte. Aufgrund des bedenklichen Gesundheitszustandes von Assange könnte die nächste Anhörung am 12. Juni in sein Gefängnis verlegt werden.
WikiLeaks’ Chefredakteurin Kristinn Hrafnsson rief Unterstützer derweil via Twitter zum Protest gegen die britische und US-amerikanische Regierung auf: „Julians Fall ist von historischer Bedeutung. Man wird sich an ihn als den schlimmsten Angriff unserer Zeit auf die Pressefreiheit erinnern.“ (hag)
Dieser Artikel stammt aus c't 13/2019

via https://heise.de/-4437822

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