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Mittwoch, 23. Januar 2019

Vom Tahrir-Platz zu Donald Trump / Zeynep Tüfekçi. In: Internationale Politik und Gesellschaft 21.01.2019

Einst trug die digitale Technologie zur Befähigung von Bürgerinnen und Bürgern und zum Sturz von Diktatoren bei. Heute wird sie als Instrument der Unterdrückung und des Unfriedens genutzt. Aus dieser Entwicklung lassen sich mehrere wichtige Lehren ziehen.
Erstens hat die Schwächung der Informations-Gatekeeper des alten Stils wie Medien, Nichtregierungsorganisationen, Regierungen und wissenschaftliche Einrichtungen die Außenseiter zwar gestärkt, sie auf eine andere Weise aber auch nachhaltig entmachtet. Für Dissidenten ist es nun einerseits einfacher, die Zensur zu umgehen. Aber die Öffentlichkeit, die sie jetzt erreichen, ist häufig so laut und verwirrend, dass sie kaum noch eine Wirkung erzielen. Wer einen positiven gesellschaftlichen Wandel anzustoßen hofft, muss die Menschen davon überzeugen, dass in der Welt etwas verändert werden muss und dass es einen konstruktiven, vernünftigen Weg gibt, dies zu tun. Dagegen müssen autoritär und extremistisch Eingestellte oft nur für zusätzliche Verwirrung sorgen und ganz allgemein das Vertrauen schwächen. Zersplitterung und Lähmung halten dann alle davon ab zu agieren. Die alten Gatekeeper ließen einen Teil der Wahrheit und abweichenden Meinungen nicht an die Öffentlichkeit dringen. Sie verhinderten aber auch viele Formen von Falschinformationen.
Zweitens sind die neuen algorithmischen Gatekeeper nicht einfach (wie sie gern glauben) neutrale Kanäle zur Weitergabe von Wahrheit und Unwahrheit. Sie verdienen ihr Geld damit, die Leute auf ihren Websites und Apps zu halten. Damit gleichen ihre Motive immer mehr derer, die Empörung schüren, Falschinformationen verbreiten und die bestehenden Vorurteile und Vorlieben bedienen. Die alten Gatekeeper haben in vielerlei Hinsicht versagt und dieses Versagen hat sicherlich dazu beigetragen, Misstrauen und Zweifel anzufachen. Aber die neuen Gatekeeper haben Erfolg damit, Misstrauen und Zweifel zu befeuern, solange sie angeklickt werden.
Drittens ist der Schwund der Gatekeeper vor allem im Lokaljournalismus folgenschwer. Während einige große US-Medienbetriebe den vom Internet verursachten Umbruch (bis jetzt) überlebt haben, hat diese Umwälzung das lokale Zeitungswesen fast komplett zerschlagen und dieser Branche auch in vielen anderen Ländern geschadet. Das hat den Nährboden für Falschinformationen geschaffen. Es bedeutet auch, dass insbesondere diejenigen, die auf lokaler Ebene die Macht ausüben, weniger hinterfragt werden. Damit sind sie weniger rechenschaftspflichtig. Die russischen Agenten, die überall in den USA gefälschte Medienorganisationen schufen, verstanden entweder den Hunger nach Lokalnachrichten oder diese Strategie war ein reiner Glücksgriff. Ohne eine gegenseitige Kontrolle auf lokaler Ebene nehmen Verfälschungen zu und setzen sich nach oben fort. Sie leisten schließlich einer globalen Welle der Verfälschung und Desinformation Vorschub, die bei vielen der aktuellen politischen Krisen eine wichtige Rolle spielt. ... [mehr] https://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/demokratie-und-digitalisierung/artikel/detail/vom-tahrir-platz-zu-donald-trump-3212/

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